Im Land der gefiederten Schlange
waren, von Schlangen mit schillernden Schuppen, von stachligen Schweinen und Vögeln in regenbogenbuntem Gefieder. Ihr eigenes Zuhause, die Siedlung mit den Giebelhäusern, kam ihr jäh wie eine zu enge Schachtel vor.
Sie blieb stehen und erlaubte ihrem Blick zu wandern, entdeckte den Berg im Norden, der mit seiner schneeweißen Spitze das Glasdach des Himmels berührte. Konnte ein einzelner Berg wahrhaftig so hoch sein? Wohnten dort oben die Heidengötter, von denen Onkel Fiete erzählt hatte, schleuderten Blitze auf die Erde und verlangten von Menschen, dass sie ihnen ihre Kinder opferten? Onkel Fiete hatte versichert, dass es diese Götter gar nicht gab, doch wenn sie zu dem glänzenden, in Wolken getauchten Gipfel des Bergs aufsah, erschien es ihr vorstellbar, dass er sich irrte.
Sie zwang sich, weiterzugehen. Die Häuser wurden kleiner, standen eng beieinander und bildeten keine Ordnung mehr. Katharina fand sie hübsch, die winzigen zusammengewürfelten Hütten mit ihren mit Maisblättern gedeckten Dächern und den Fassaden in undefinierbarer Farbe. Wie Spielzeughäuschen, die man aufheben und versetzen konnte. An einer Häuserwand, auf einem letzten Sonnenflecken, saß ein grüngelb schimmernder Gecko. Katharina griff nach ihm, doch das Tier entglitt ihren Fingern und flitzte schneller, als sie ihm nachsehen konnte, davon.
Hier gab es keine Stadtmauern, keine Befestigungen, keinen Schutz. Die meisten Türen standen offen, und ständig quollen Menschen hinein und heraus – Frauen mit Töpfen, aus denen Dampf und Essensdüfte waberten, Männer, die Werkzeug schleppten, unzählige Kinder, dazwischen Ziegen, Hühner und ein Truthahn, der mit seinem knallroten Kropf gewichtig einherspazierte.
Am Wegrand hockte eine Frau vor einem Feuer mit Dreibein, schälte Fleisch aus Kokosschalen, raspelte es und schlug es mit Eigelb und Sirup auf. Von der schaumigen Masse formte sie mit zwei Löffeln ein Schiffchen, ließ es in die Pfanne auf dem Dreibein gleiten und briet es unter Gebrutzel aus. Eine Horde Kinder wartete geduldig, bis wieder ein Gebäckstück fertig war. Katharina lief das Wasser im Mund zusammen, und mit der Gier auf die Süßigkeit erwachten die Bilder – der Alte auf dem Malecon, das kandierte Fleisch der Tamarindenschoten, der umgestürzte Tisch. Unaufhaltsam stieg das Bild des Jungen vor ihr auf, das zerrissene Hemd und das Blut. Eine Taube schrie.
Hatte der Lagerarbeiter recht, war es falsch, was sie tat? Aber warum denn? Der Doktor Messerschmidt, der in der Siedlung lebte und sie alle unterrichtete, hatte ihnen eingetrichtert, dass nie etwas Falsches am Fragen war. »Wer keine Frage stellt, kann keine Antwort bekommen«, lautete sein Leitsatz, über den die Kinder sich lustig machten, weil es albern schien, solche Selbstverständlichkeit gebetsmühlenartig zu wiederholen.
Aber Katharina wollte Antworten. Sie war es leid, dass ihre Eltern ihr auswichen, sooft sie fragte, weshalb sie nicht aus der Siedlung durfte, weshalb sie mit Ben nicht sprechen sollte, weshalb die spanische Sprache aus dem Haus verbannt war – alles Verbote, die sie nicht einhielt, weil ihr niemand je erklärte, welchen Nutzen sie hatten. Seit auch noch Ben mit dem Ausweichen begonnen hatte, fühlte sie sich wie in einem Netz gefangen, und an welchem Knoten man auch zerrte, keiner löste sich auf und gab sie frei. Katharina warf den Kopf noch einmal in den Nacken, zog das Tuch fest und ging weiter. Wenn es dort, wo Bens Mutter wohnte, etwas Erschreckendes gab, dann würde sie dem entgegenblicken. Sie war keine, die sich vor Dingen, die sich sehen und anfassen ließen, fürchtete. Katharina fürchtete die Ungewissheit.
Wie immer während der Regenzeit ballten sich die Wolken in Windeseile. Wie unter einer lastenden grünlichen Glocke lag die Vorstadt, und es war verwunderlich, dass die Schleusen des Himmels sich noch nicht geöffnet hatten. Die Häuser hier draußen erschienen wie geflickte Kleider. Sie standen nun weiter auseinander, zwischen blühenden Sträuchern, Reihen mickriger Gemüsepflanzen, Kochstellen und Leinen mit Wäsche verstreut. Ben hatte ihr erzählt, dass bei ihm zu Hause die meisten Menschen vor den Häusern kochten und aßen, und Katharina hatte sich gewünscht, das mit ihrer Familie auch einmal zu tun.
Natürlich hatte die Mutter geschimpft, sie seien kein Vieh, das unter freiem Himmel aus Trögen fresse. Dann aber hatte sie in träumerischem Zufall hinzugefügt, dass sie tatsächlich in der Heimat an
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