Im Land der gefiederten Schlange
einen Brief von ihr bekommen.« In dem Augenblick, in dem ihr Herz zu rasen begann, nahm er ihre Hand. Hatte er das jemals getan, ihre Hand genommen? Damals, als Hannes geboren war. Aber sonst? »Es ist kein schöner Brief. Nicht das, was wir uns wünschen. Katharina fordert mich auf, Hermann, Torben und Friedrich Einhalt zu gebieten. Die drei wüssten etwas, das sie uns verschwiegen haben, wie üblich, um uns zu schonen. Katharina lebt nicht allein, Marthe. Sie hat einen Geliebten. Einen Offizier des Habsburger-Kaisers.«
Marthe blieb still und wartete auf den Sturm der Gefühle, die Wogen der Empörung. Welche Schande!, sollte es in ihr schreien, und dann würde sie alle verfügbaren Hebel in Bewegung setzen müssen, um dem unhaltbaren Verhältnis ein Ende zu bereiten. Um jeden Preis. Für die Familie ist jedes Opfer recht. Sie lag noch immer still und lauschte in sich hinein. Schwach glaubte sie, den Duft der orangeroten Blüten wahrzunehmen, der in der Hitze von Veracruz betäubend war. Der Duft aber war wie der Sturm der Gefühle nur eine Erinnerung. Nicht die Gegenwart. »Geht es Kathi gut?«, fragte sie.
»Sie schreibt, dass sie mit ihm glücklich ist«, sagte Peter. »Und dass sie sich diesmal ihr Glück nicht von uns zerstören lässt.«
»Wie heißt er?«, fragte Marthe.
Bildete sie es sich ein, oder lächelte Peter? Hatte sie ihn je lächeln sehen seit Veracruz? »Valentin Gruber«, sagte er.
»Valentin Gruber«, wiederholte Marthe. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. »Schreib ihr, ich will ihn sehen. Was der Hermann und die anderen sagen, ist mir einerlei.«
Peter nickte und hielt ihre Hand. »Mir auch. Ehrlich gesagt frage ich mich, warum es uns nicht immer einerlei gewesen ist.«
»Wirst du Kathi schreiben? Wirst du unserer Kathi schreiben, dass ihre Eltern kommen, um ihren Valentin Gruber zu treffen, wie auch immer die Verhältnisse sind? Ich will sie nur wiederhaben. Ich weiß nicht, warum es so ist, aber mich schert sonst nichts.«
»Es ist so, weil wir Kathi lieben«, sagte er. »Aber sehen will sie uns nicht. Sie hat mir geschrieben, weil Hermann, Torben und Friedrich dem Herrn Gruber im Park am Deutschen Haus aufgelauert haben. Sie haben ihn von hinten überfallen und ihn zusammengeschlagen. Einen Mann, den sie nicht kennen und der ihnen nichts getan hat. Weißt du, dass ich mich schäme, Marthe?« Er ließ ihre Hand los. »Wir haben es ihnen beigebracht.«
Sehr lange schwieg Marthe, weil ihr nichts einfiel, das sie dagegensetzen konnte. Weil er recht hatte. Sie hatten den Kindern – Christophs fröhlichen Zwillingen und Fietes Ältestem, der wie Kurt aussah – beigebracht, dass man Menschen schlagen durfte, wenn sie sich einem in den Weg stellten. Dass man sie opfern durfte, um zu bekommen, was man wollte. Schwerfällig erhob sich Peter vom Bett. Sie packte seine Hand. »Du hast es meinetwegen getan«, rief sie. »Du brauchst dich nicht zu schämen. Ich habe zu dir gesagt: Halt um jeden Preis diesen Jungen von Katharina weg, oder ein Unglück geschieht.«
»Ich hätte mit ihm sprechen können. Weißt du, dass ich diesen Jungen mochte, Marthe?«
»Ich wollte nicht, dass du mit ihm sprichst. Ich wollte, dass du ihn totschlägst, damit das alles auf immer aus unserem Leben verschwindet. Als du die zwei Jungen in mein Haus gebracht hast, hätte ich sie mit bloßen Händen erwürgen wollen.«
»Aber es waren doch Kinder, Marthe. Ich dachte, wir seien es der Frau schuldig, ihnen Arbeit zu geben. Sie hatte ihnen Schilder um die Hälse gehängt, weil sie ihr sonst verhungert wären – sie hatte ja niemanden mehr, der für sie sorgen konnte.«
»Ich weiß«, sagte Marthe. »Ich will nur, dass du aufhörst dich zu schämen. Es war meine Schuld, nicht deine. Ich werde es Kathi schreiben, damit sie nur mich hasst und nicht dich.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Marthe. Halb totgeschlagen habe ich ihn und vor Kathis Augen. Ich hatte den Verstand verloren, habe nur mein kleines Mädchen gesehen, an dem sich ein Kerl vergeht, der …«
»Er hat sich nicht an ihr vergangen.«
»Das weiß ich.«
»Und der Rest, den ich dir erzählt habe, ist auch nicht wahr.«
Sie erwartete, dass er gehen würde, wie er es oft getan hatte, weil es ihm vor ihr graute. Nur einmal hatte er sie angeschrien und gepackt und geschüttelt, dass ihr Kleid zerrissen war. Wenn er es wieder tat, würde sie sich nicht wehren. Es war sein Recht. »Hören wir auf«, sagte er. »Du kannst mir meine Schuld nicht
Weitere Kostenlose Bücher