Im Land der gefiederten Schlange
zuraste. Woher aber sollte man wissen, wie ein solcher Wahnsinn sich trainieren ließ? Instinktiv warf er sich nach links, presste sich in die Erde des Hangs. In seinem Kopf explodierte ein Lichtball, als die Kugel in seine Seite drang. Kurz nahm der Schmerz ihm die Sinne, aber kurz genug, um sich sogleich auf die Knie zu rappeln, das Gewehr auszurichten und ins Dunkel um sein Leben zu feuern. Es ist nicht schlimm, schrie er stumm seinen Gliedern zu, ein Streifschuss, du stirbst nicht daran. Viel half es nicht, die Glieder hörten nicht auf zu zittern, doch zum Glück machte das wenig Unterschied. In der Nacht ließ sich ohnehin nicht präzise zielen, auch wenn die weißen Hosen von Maximilians Cazadores durch die Schwärze leuchteten.
Als der Morgen graute, war der Ausfall, der eher kühn als klug gewesen war, zurückgeschlagen. Das Gras der Senke war blutdurchtränkt, und dicht bei dicht, bis ans Ufer des Flusses, lagen die Leichen von Männern und Pferden. Die Glockenschläge, dazu gedacht, Gläubige zum Sakrament zu rufen, hatten in der Nacht einen Sturm entfesselt. Von den gut fünfhundert Mann, die der Kaiser in seiner Verzweiflung ausgesandt hatte, war keine Handvoll entronnen, während ihre eigenen Reihen kaum Verluste erlitten hatten.
Benitos Glieder zitterten noch immer. Blut und Schweiß klebten ihm die Kleider an den Leib. Die Wunde, die über seiner Hüfte klaffte, war länger und tiefer, als er gehofft hatte, aber sie stellte keine Gefahr dar. Wenn er sich unvorsichtig bewegte, sickerte noch ein wenig Blut, doch es strömte nicht mehr, und der Schmerz setzte ihm zwar zu, doch er war bei weitem nicht stark genug, um seine Furcht zu übertönen. Der Kaiser würde sich nicht ergeben, er war offenbar entschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Es würde nicht mehr lange dauern. Er musste in diese Stadt!
»Sie müssen sich hinsetzen, Capitán.« Valverde, der Stabsarzt, war zu ihm getreten und langte nach seiner zitternden Hand. »Sie haben mächtig Blut verloren.«
»Haben Sie keine anderen Sorgen?«, bellte Benito den Mann an.
Der lächelte strahlend. »Offen gestanden nicht, Capitán. Wir haben mehr Ärzte als Verwundete.«
Benito, der wusste, dass er sich kindisch benahm, ließ ihn die Wunde verbinden. Ihm war schwindlig. Die Sonne begann zu brennen, und von neuem brach ihm der Schweiß aus. Vor seinen Augen schien die Hitze zu flimmern, so dass er die Männer, die sich an den Ufern des Flusses bewegten, wie durch verschmiertes Glas sah. »Sie sollten wirklich nicht stehen«, sagte Valverde. »Am besten, Sie kommen mit mir nach oben, und ich setze Ihnen schnell ein paar Stiche.«
»Lassen Sie mich mit Ihrem Schafsdarm in Ruhe.« Benito riss sich los und rannte hinunter zum Fluss, denn er hatte in diesem Augenblick begriffen, was die Männer dort trieben. Sie packten die Leichen der Cazadores an Armen und Beinen und schleuderten sie in die fließenden Wellen. Dabei entstand ein Gelächter und Gejohle wie unter Kindern, die in sommerlicher Hitze am Ufer plantschten.
»Sofort aufhören!«, brüllte Benito. »Habt ihr den Verstand verloren?«
Der Schmerz in seiner Seite zwang ihn, innezuhalten. Ein paar der Männer, darunter Guerrero, drehten sich verwundert um. Scham überfiel ihn. Er betrug sich wie ein Waschweib. An etwas mussten die Männer schließlich ihre Anspannung abreagieren, und wenn sie es an Toten taten, entstand keinem Lebenden ein Schaden. Weshalb nur war er mit einem Magen gestraft, der sich ihm bei jedem Unsinn bis an die Kehle blähte?
»Lassen Sie den Männern doch den Spaß«, vernahm er hinter sich eine Stimme, die einem von Ferrantes Mayors gehörte. »Die Kadaver treiben in die Stadt und machen den Maxen klar, was ihnen blüht, wenn sie so was noch mal versuchen.« Er lachte und klopfte Benito auf die Schulter. »Der Oberst will Sie sprechen. Vermutlich gibt er Ihnen meinen Posten, und verdenken kann ich’s ihm nicht!«
Benito erfasste kaum, was der Mann ihm sagte. Wie gebannt starrte er noch immer auf die Männer, die wieder angefangen hatten Tote ins Wasser zu werfen. Er hatte die Lösung für sein Problem gefunden. Er wusste jetzt, wie er in die Stadt gelangen konnte.
»He, Mann, hören Sie mir überhaupt zu? Sie sollen zum Oberst, und ich an Ihrer Stelle hätte es eilig damit. Für das, was Sie heute Nacht hier veranstaltet haben, kriegen Sie mehr als eine poplige Medaille. Sollte mich nicht wundern, wenn das bis zu Juárez hochgemeldet wird.«
»Tun Sie mir einen
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