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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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mahnen. Selbst schwere Artillerie hatten sie ohne nennenswerte Gegenwehr in Stellung bringen können. Maximilians neuntausend Mann hatten den dreimal so starken Republikanern wenig entgegenzusetzen, und doch durfte ihnen kein Ausfall gelingen. Porfirio Diaz würde Marquez aufhalten, aber ein weiterer General, der der Stadt entkam, mochte ihnen mit Verstärkung in den Rücken fallen und sie zwischen zwei Fronten einkesseln. Damit wären die Karten noch einmal neu gemischt, der Krieg würde weiter wüten, und dazu besaß das Land nicht mehr die Kraft. Sie mussten ihn hier zu einem Ende bringen.
    Benito konnte nicht schlafen. Er war längst fahrig und überwach, ein gefährlicher Zustand für einen Befehlshaber, doch seine Furcht machte jegliche Erholung undenkbar. Ohne Ruhe jagte sein Blick über die Stadt, als bestünde die geringste Chance, dort eine Gestalt auszumachen, ein vertrautes Gesicht. Die steinernen Bögen des Aquädukts schimmerten im Licht der Sterne, und nicht weit davon zog sich das glitzernde Band des Rio Querétaro, der in lebhaften Wellen durch die Stadt trieb. Die Frühlingstage von Querétaro waren golden und sonnig, aber die Nächte waren kalt. Lag
sie
in einem dieser Häuser wach und fror?
    Die Generäle hofften darauf, dass Maximilian, dem in seiner Stellung im Convento La Cruz die Vorräte knapp wurden, nicht mehr lange durchhalten, sondern sich ergeben würde. Andernfalls würde binnen kurzem der Befehl zum Angriff ergehen, und was das für die Bevölkerung der Stadt bedeutete, wollte Benito sich nicht vorstellen. Veracruz, hämmerte es in seinem Kopf ohne Unterlass.
Veracruz.
Ehe das geschah, musste er einen Ausweg finden.
    Warum er sich schließlich entschied, ein Stück nach links den steil abfallenden Hang hinunterzusteigen, um das schmale Flusstal dahinter zu prüfen, wusste er nicht. Vermutlich entwickelte man in etlichen Jahren Krieg ein Gespür und verlor dafür andere Fähigkeiten, die einem später, beim Weiterleben, fehlten. Der Mann, der auf Wache stand, schien im Stehen zu schlafen. Benito trat ihm vor das Schienbein, er fuhr zusammen und salutierte stumm.
    Ebenso stumm wies Benito auf das Clairon, das der Mann vor der Brust trug, und ließ es sich aushändigen. Auch das tat er, ohne sich nach Gründen zu fragen. Durch Geröll und in Schlangenlinien um Felsvorsprünge stieg er der schwer einsehbaren Senke um den Fluss entgegen. Als Lösung für sein Problem verwarf er sie sofort wieder. Sie war zu kurz, öffnete sich zu schnell zur Stadtseite hin, so dass er im Nu im Sichtfeld des Gegners stünde und schneller erlegt wäre als ein am Boden hockender Baumstachler. Aber einen Weg musste es geben. Was immer es kostete, er musste in diese Stadt.
    Und dann hörte er sie, getarnt durch das Gurgeln des Flusses. Hufschläge von Pferden, die, wenn man das Ohr an die Erde legte, wie entferntes Donnergrollen klangen. Kavallerie. Jenes Gespür ohne Denken, ohne Fragen nach Gründen befähigte zu irrwitziger Schnelligkeit. Benito rannte bergauf, blies im Laufen das Clairon, riss mit der freien Hand den Hinterlader von der Schulter. »Wecken! Aufstellen!«, brüllte er dem Wachmann zu, und einem zweiten, der von links kam, schrie er entgegen: »Auf den Turm! Die Glocken läuten!« Wenn der Ausfall der Kavallerie an mehr als einer Stelle geplant war, mussten sämtliche Mannschaften aus dem Schlaf gerissen werden.
    Den Überraschungseinsatz bei Nacht hatte er mit seinen Männern trainiert, bis sie ihm die Schwarze Kotzerei wünschten. Die komplette Einheit stand in Windeseile bereit und in der Senke, wo die ausfallenden Kavalleristen der Enge wegen ihre Linien teilen mussten. Sie fingen sie ab. Auf diese Weise ließ sich mit dreißig Mann ein Pass halten, bis die dröhnenden Glockenschläge Verstärkung herbeiriefen. »Lärm machen«, schrie Benito die Leute an, »blind drauflosfeuern.« Um Munition brauchten sie sich nicht zu sorgen, es waren die Belagerten in der Stadt, denen die Bestände ausgingen, sie selbst hatten Nachschub genug. Benito stand in zwei Schritt Höhe auf einem Vorsprung und feuerte auf die Pferde der linken Flanke. Vielleicht schwächte die Erschöpfung seine Wachsamkeit, vielleicht lenkte die Furcht, die ihn nicht losließ, ihn ab. In jedem Fall sah er das Geschoss, das als lodernder Blitz von rechts durch die Nacht brach, erst, als es zu spät war.
    Er hatte auch das mit seinen Männern trainiert. Bei Verstand bleiben, ein Geschoss einschätzen, wenn es auf das eigene Leben

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