Im Land der gefiederten Schlange
spätestens drei Wochen ist diese Stadt unser, dann können Sie darin tun, was Sie wollen.«
»Dann ist es zu spät.«
»Und warum das?«
Benito ließ die Stuhllehne los, richtete sich auf und sah ihn an. »Weil mein Mädchen aus Veracruz in der Stadt ist«, sagte er. »Mit einem kaiserlichen Offizier. Ich wollte sie aus Chapultepec holen, aber ich bin zu spät gekommen. Sie war schon mit ihm auf dem Weg hierher.«
»Augenblick mal.« Ferrante ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. »Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen sich als Leiche in die von Maxen besetzte Stadt treiben lassen, um einem Kaiserlichen die Frau zu stehlen. Aber Fieber haben Sie nicht? Und ganz bei Trost sind Sie auch?«
»Nein«, sagte Benito. »Bitte stellen Sie mir keine Fragen. Sie haben mit allem recht, aber ich kann nicht schlafen, und ich kann jetzt auch nicht mehr kämpfen, ich bin toll vor Angst, dass ihr dadrinnen etwas geschieht. Ich weiß auf nichts eine Antwort – ich weiß nicht, wo sie untergebracht ist, ich weiß nicht, ob sie mit mir geht, ich weiß nicht mehr, als dass ich sie da herausholen muss.«
»Mit der Frau aus der Stadt müssen Sie ja auch noch.« Der Coronel stöhnte, und sein ewig spöttisches Gesicht schien bestürzt. »Wie wollen Sie denn das anstellen, Mann?«
»Hinauszukommen dürfte nicht schwierig sein. Ich habe eben die Losung vergessen, und ich will mit einem Mädchen in die Büsche – irgendein Kamerad wird mich schon durchlassen.«
»Sie schlottern am ganzen Leib. Sie verlieren gerade wieder Blut. Verdammt noch mal, Sie gehen mir dabei drauf.«
»Ich bin zäher als Ihr ältester Schuh. Das kommt vom Amarant.«
»Sparen Sie sich Ihre blöden Witze!«, schrie Ferrante.
»Sehr wohl«, sagte Benito und senkte den Kopf. »Bitte lassen Sie mich gehen, mein Coronel. Wir haben bald vierzigtausend Mann auf diesen Hügeln, und ständig kommen weitere hinzu. Sie brauchen mich nicht mehr.«
»Und was ist an dieser Frau von dem Maxen, die Sie wahrscheinlich sowieso nicht will? Haben andere Mütter etwa keine schönen Töchter? Ich habe eine süße Nichte in Orizaba, von mir aus können Sie die haben, nach dem Krieg.«
»Ich weiß das zu schätzen«, sagte Benito, der sicher war, dass ihm jeden Moment die Stimme versagen würde. »Wirklich.«
»Aber Sie wollen nicht.«
Er schüttelte den Kopf, wobei ihn ein Schwindelanfall fast zur Seite warf.
»Dann scheren Sie sich zum Teufel.«
»Danke, mein Coronel.« Es kostete Mühe, sich umzudrehen und die paar Schritte bis zum Zelteingang zu gehen, aber die Luft draußen und das Wasser des Flusses würden das besser machen. Vor der Plane blieb er noch einmal stehen, hielt sich daran fest und drehte sich nach Ferrante, der aufgestanden war, um. »Es tut mir leid«, stammelte er. »Dass ich Ihnen all den Ärger mache, meine ich. Ich wollte nie Soldat werden, ich wusste, ich bin dazu völlig ungeeignet, und ohne Sie säße ich längst im Narrenhaus …«
»Jetzt halten Sie mal den Mund«, sagte Ferrante und wies vor sich auf den Boden. »Kommen Sie hierher.«
Wenn er zuschlägt, lass ihn, beschwor sich Benito und ging die paar Schritte zurück. Es kostet kaum Zeit, und er hat allen Grund dazu.
Der Coronel legte die Arme um ihn und drückte ihn geradezu behutsam an sich. »Gehen Sie mit Gott, Sie verrückter Teufelskerl«, sagte er. »Wenn Sie sie haben, Ihre Katharina, bringen Sie sie zu uns. Wir passen für Sie auf sie auf.«
57
Das Hotel Delingencias mit seinem blühend bepflanzten Innenhof und den verschwenderisch ausgestatteten Suiten hatte bis zum Einmarsch der kaiserlichen Truppen der Unterbringung betuchter Gäste gedient. Seit Maximilians Armee in der Stadt stand, war hier der Tross untergebracht, das medizinische Korps, die Zeugwarte und Scharen weiterer Kräfte, die für den Erhalt des Heeres notwendig waren. Die Hotelhalle wurde zu einem Speisesaal umgerüstet, so dass zu Zwecken der Zerstreuung lediglich die winzige Hotelbar zur Verfügung stand. Maximilian aber legte Wert darauf, dass seine Leute Zerstreuung hatten, im Angesicht der Gefahr mehr denn je. Er ließ eine Sängerin bezahlen, die in der Bar nach den Wünschen der Männer sang.
Die Unterbringung von Frauen im Kloster von La Cruz, wo Maximilian mit seinen Offizieren wohnte, war nicht vorgesehen, da mit dem Heer keine Frauen reisten. Nicht einmal der Prinz Salm-Salm, der engste Berater des Kaisers, oder Oberst López hatten ihre Frauen mitgenommen. Daher wurde Katharina dem Tross
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