Im Land der gefiederten Schlange
Gefallen?«, fragte Benito. »Sagen Sie meinem Cabo, dem Kleinen mit der entzündeten Haut, er soll mir einen von den Toten übriglassen. Einen ziemlich langen, in möglichst kompletter Uniform.«
»Wollen Sie’s machen wie die Matadores? Ihm die Ohren abschneiden?«
»So ungefähr«, erwiderte Benito und begann den Hang hinaufzusteigen. Im Gehen bemerkte er, dass das Zittern heftiger wurde, aber wenn er erst auf dem Weg in die Stadt war, würde es sich sicher legen.
Ferrante saß in seinem Zelt vor einem üppig gedeckten Frühstückstisch und rauchte eine Zigarre. Als Benito eintrat, stand er auf. Sein Lächeln war so breit, dass sein Gesicht vollkommen rund erschien. »Sparen Sie sich den Salut. Setzen Sie sich hin.« Weit ausholend wies er über den Tisch. »Ich fand, wir hätten heute mal Grund, es uns wohl sein zu lassen. Diese Hunde wollten sich im Hinterland sammeln, neu geworbene Truppen hinzuziehen und uns in den Rücken schießen. Dafür, dass wir ihnen die Suppe versalzen haben, wird das gesamte Regiment ausgezeichnet, und mir dürfte ein Generalsposten sicher sein.«
Benito war stehen geblieben. Seine Glieder zitterten. All das Herumgerede, die verlorene Zeit bereiteten ihm Höllenqualen.
»Und was machen wir mit Ihnen? Eine Beförderung wollen Sie nicht, einen Orden wollen Sie erst recht nicht – also los, sagen Sie mir, wonach Ihnen der Sinn steht. Ausnahmsweise dürfen Sie dabei Ihrer Unverschämtheit freien Lauf lassen.«
Benito sagte nichts. Im Inneren verfluchte er das Schicksal, das ihn erneut unter Ferrantes Befehl geführt hatte. Jedem anderen Coronel hätte er ohne Hemmungen einen Haufen Lügen erzählt.
»Zum Teufel noch mal«, schimpfte Ferrante. »Stecken Sie sich doch endlich Ihre indianische Hochnäsigkeit in den Hintern! Ich bin stolz auf Sie, geht das nicht in Ihren Kopf? Warum müssen Sie ewig und drei Tage so tun, als würden Sie keinen Menschen brauchen?«
»Tue ich das?«, fragte Benito verblüfft.
»Allerdings. Ich hatte Ihnen übrigens gesagt, Sie sollen sich setzen.«
»Bitte«, murmelte Benito, »erlauben Sie mir, stehen zu bleiben.«
Der Coronel wollte um den Tisch herumkommen, hielt aber auf halbem Weg inne und musterte ihn. »Vortreten«, befahl er ihm barsch. »Bis vor die Stuhllehne.«
Benito trat zwei Schritte vor.
»Hände auf die Lehne«, bellte Ferrante.
Zögernd streckte Benito seine zitternden Hände vor und legte sie auf die Lehne des Stuhls.
»Bitte schön«, sagte Ferrante, »wenn Sie zu stur zum Sitzen sind, bleiben Sie meinetwegen stehen, aber stützen Sie sich auf die Lehne. Ich will nicht, dass Sie mir hier zusammenklappen, und ich darf den Dreck dann wegputzen.«
»Ich bin nicht zu stur zum Sitzen. Ich habe nur Angst …«
»Sie haben Angst, Sie kommen nicht wieder hoch? Die mag berechtigt sein, aber Sie müssen ja auch gar nicht wieder hoch. Bleiben Sie hier oder legen Sie sich in Ihr Zelt, machen Sie, was Ihnen passt. Sie haben Urlaub, bis Sie sich erholt haben. Die Wunde ist doch nicht schwer, oder doch?«
»Nein, gar nicht. Mein Coronel …«
»Hören Sie auf, wie ein Feigling zu stottern«, blaffte Ferrante ihn an. »Ich habe Ihnen im Leben nie ein Haar gekrümmt, und gerade habe ich Ihnen gesagt, Sie sollen sich von mir wünschen, was Sie wollen. Also raus mit der Sprache. Darauf, dass es wieder einmal der größte Unsinn sein wird, bin ich bei Ihnen ja gefasst.«
»Ich will in die Stadt«, sagte Benito.
»Welche Stadt? Die da draußen?« Der Coronel kratzte sich an der Stirn. »Was immer Sie da wollen, das geht nicht. Die Maxen fangen uns jeden Späher weg und hängen ihn so hoch auf, dass wir von hier oben sehen, wie ihm die Zunge aus dem Maul schleift.«
»Meine Leute werfen die toten Cazadores in den Fluss«, redete Benito gegen das Zittern, gegen den Schmerz in der Seite und gegen das Verrinnen der Zeit an. »Sie lassen sie in die Stadt treiben, um die kaiserlichen Truppen abzuschrecken. Einer meiner Capos hält mir einen zurück, ich tausche mit ihm die Uniform und treibe mit den Leichen nach Santiago.«
»Sie sind aber keine Leiche!«, schrie Ferrante. »Sie gehen wie ein Mehlsack unter, Sie verdammter Idiot.«
»Ich kann schwimmen.«
»Soso. Und was können Sie noch? Fliegen?«
»Dann hätte ich das Problem nicht«, erwiderte Benito.
»Nein«, sagte Ferrante. »Gehört das Wort zu Ihrem Wortschatz? Nein, nein, nein. Was Sie mir da erzählen, ist Wahnsinn, und es gibt nicht den geringsten Grund dafür. In
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