Im Land der gefiederten Schlange
schön, ganz wie Jette im vorigen Jahr. Auf Fietes Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als hätte er erst jetzt begriffen, dass ihm noch eine Tochter blieb.
»Im Namen der Familien Hartmann und Lutenburg heiße ich Sie willkommen«, sagte er und reichte dem jungen Mann die Hand. »Lassen Sie sich von dem kleinen Zwischenfall nicht stören. Meine Schwägerin Traude braucht hin und wieder ein bisschen Radau. Tatsächlich ist mir keine Weihnacht in Erinnerung, die wir ohne Eklat gefeiert hätten.«
»Ich bedanke mich«, kam es von dem jungen Mann, der mit pferdeartigen Kiefern nach Luft schnappte. »Ich überbringe Weihnachtsgrüße meiner Familie und beste Wünsche zum neuen Jahr. Ich weiß, wir leben in finsteren Zeiten, ich habe sogar gehört, es soll schon wieder ein Präsident dieses unglückseligen Landes gestürzt worden sein. Ich erlaube mir dennoch, Ihnen ein Kompliment auszusprechen. Ich bin beeindruckt von Ihrem nach hanseatischer Art geschmückten Weihnachtsbaum.«
Es geschah Christoph nicht oft, dass ihn etwas zum Lachen reizte, aber bei dem Redeschwall des Jungen hätte er um ein Haar losgeprustet. Hatte er vor, für den Rest des Abends jeden Satz mit »ich« zu beginnen? Und war es möglich, dass sich um diesen Tropf die Frauen der Familie bekämpften wie Mexiko und Nordamerika? Unwillkürlich fiel Christophs Blick auf den im Sessel versunkenen Peter, und wieder einmal musste er sich eingestehen, dass er von der Liebe der Frauen keinen Deut verstand.
Es war schließlich Luise, die ihren Kavalier unterbrach und Fiete zurief: »Vater, Sigmund ist hier, um etwas mit dir zu besprechen. Wenn es dir nicht recht ist, weil das Trauerjahr noch nicht vorüber ist, kann er nach Neujahr wiederkommen.«
»Aber nein«, versicherte Fiete, ergriff die Hand seines künftigen Schwiegersohns und schüttelte sie wie einen Pumpenschwengel. Anschließend entstand ein kleiner Tumult, weil Marthe Fiete und Sigmund Eyck hinüber ins Herrenzimmer dirigierte, weil Hermann ihnen folgte und weil Kathi mit Jo an der Hand zu Luise eilte und ihr lauthals alles Glück der Welt wünschte. Sie sah selbst aus wie alles Glück der Welt. So, als wäre sie, nicht Luise, die verliebte Braut.
»Wer hätte das gedacht?«, brummte die alte Hille. »Jetzt sind’s die Kinder der Kinder, die in der Fremde unter die Haube kommen.«
Christoph erschrak, als ihm klar wurde, wie recht sie hatte. Mit Luise würde die erste der neuen Generation in Mexiko vermählt werden, in einer Stube statt in einer Kirche, getraut von August Messerschmidt, so sehr der Eigenbrötler sich dagegen sträubte. Christoph dachte zurück an seine Verlobung mit Inga, an die Hoffnung, zurückzukehren, ehe ein Kind auf die Welt kam, und an Jos Geburt in einer glutheißen mexikanischen Nacht. Hegten Luise und ihr Sigmund dieselbe Hoffnung, und würde sie sich für sie erfüllen? Und wenn auch ihre Kinder hier zur Welt kämen, würden sie es leichter haben, weil ihre Eltern hier geboren waren?
Vermutlich kaum, dachte er. Wir haben ja ihren Eltern verboten, in die fremde Welt hineinzuwachsen, wir haben ihnen eingetrichtert, dass das Land, in dem sie geboren sind, nicht ihre Heimat ist.
Zu weiteren Grübeleien kam er nicht, weil Fiete samt Sigmund und Hermann in die Stube zurückkehrte. Er hatte einen Arm um den jungen Eyck gelegt und schwatzte ausgelassen auf ihn ein. Wie gut dieser Anblick tat. Welch ein Segen es war, wenn eine Familie einen Menschen hinzugewann, nicht einen verlor. Fietes Wunde hatte begonnen zu heilen. Noch einmal warf Christoph einen Blick auf Kathi, die von innen zu leuchten schien, und dann auf seine Schwester Marthe. Wie es aussah, würde auch sie demnächst ein neues Mitglied in ihrer Familie begrüßen dürfen. Eine verstiegene Hoffnung flammte in Christoph auf. Würde am Ende auch Marthes Wunde beginnen zu heilen, wäre es nach all den Jahren möglich, sich mit dem Schicksal zu versöhnen?
Fiete tuschelte mit Marthe, die sagte etwas zu Peter, und der ging und kam kurz darauf mit zwei staubbedeckten Flaschen Champagner zurück. Solche Kostbarkeit gab es derzeit nur zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt, aber Peter hatte mit seinem Bier stets ein begehrtes Tauschgut zur Hand.
Das Getränk wurde ausgeschenkt, und Fiete stand vor dem Christbaum, wie er im letzten Jahr auf der Kiste gestanden hatte, und verkündete strahlend: »Liebe Familie, es ist mir eine Ehre, euch die Verlobung meiner Tochter Luise mit Herrn Sigmund Eyck, Sohn des Konsuls
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