Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
einen Kloß im Hals. Noch immer sah sie Juans Gesicht vor sich. An dem Tag, an dem er sie zu dem Brujo geführt hatte. In dem engen Zimmer, als er versuchte, Medizin für sie zu finden. Seine heldenhafte Rückkehr. Sie war nicht sicher, ob es Georg und ihr allein gelungen wäre, dem Vulkanausbruch zu entkommen. Schließlich der Augenblick, als sie erkannten, dass Juan tödlich verletzt worden war.
»Wie … wie geht es Margarete? Was meinst du?«, fragte Elise. »Soll ich mit ihr reden?«
»Ich weiß es nicht.« Georg wirkte niedergedrückt. »Sie reitet mit Robert. Als ich sie ansprach, hat sie mich angesehen, als ob sie mich nicht kennen würde.«
»Das liegt sicher an dem Schock.« Elise versuchte, sich vorzustellen, wie Margarete sich fühlte. Sie dachte an die Tage der Angst, als sie sich immer wieder fragte, ob ihre Eltern noch lebten. Aber nein. Das war niemals so schlimm, wie den Geliebten in den eigenen Armen sterben zu sehen. »Es … es tut mir so leid.«
Georg nickte und trieb sein Pferd an, da ihnen eine Gruppe von Menschen entgegenkam. Flüchtende Indio-Familien. Männer, Frauen und Kinder, alle waren bepackt, selbst die kleinen Kinder beugten ihre Rücken unter der schweren Last ihrer Körbe. Elise vernahm das ängstliche Gackern eines Huhns und schaute sich suchend um. Eine Frautrug einen Holzkäfig auf dem Rücken, in dem zwei Hühner und ein Truthahn hockten. Hunde und Schweine folgten den Menschen und liefen einträchtig nebeneinanderher.
Elise spürte Mitleid in sich aufsteigen, Mitleid mit den Menschen, die alles verloren hatten. Und dann weinte sie – um Juan, um ihre Eltern, um eine ungewisse Zukunft. Lautlos und stetig flossen die Tränen. Sie trieb ihr Maultier an, bis sie neben Margaretes Stute war.
»Ich finde keine Worte, aber …« Sie legte eine Hand auf Margaretes Arm. »Es tut mir so unendlich leid. Es ist meine Schuld.«
»Nein.« Margarete sah auf. Ihre Augen wirkten wie erloschen. Nichts erinnerte mehr an die strahlende glückliche Frau, die Elise gemeinsam mit Juan erlebt hatte. Mit ihrem Geliebten schien auch Margaretes Lebenswille gestorben zu sein. »Niemand hat schuld. Juan wollte zurückkehren. Es … es war Schicksal. Ein bitteres Schicksal.«
»Es … es klingt sicher albern, aber dein Leben geht weiter …«, begann Elise, nur um von Margarete jäh unterbrochen zu werden.
»… sag so etwas nicht.« Zum ersten Mal zeigte sie etwas Kraft. Die Stärke, die aus Zorn geboren wird. »Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Ich möchte sterben.«
»Nein!« Elise wunderte sich, dass sie den Mut aufbrachte, sich Margarete entgegenzustellen. »Nein! Das darfst du nicht einmal denken. Du … du … du trägst Juans Kind in dir. Du musst für euch beide sorgen. Das bist du ihm schuldig.«
Margarete hielt ihre Stute an und starrte Elise an. So durchdringend, dass diese schon fürchtete, von ihr geschlagen zu werden. Stattdessen huschte ein zartes Lächeln überMargaretes Gesicht. »Ich danke dir«, sagte sie unvermutet und beugte sich nach vorn, um Elise über die Wange zu streichen. »Ich danke dir von Herzen.«
Sprachlos blieb Elise zurück und Robert lenkte sein Pferd neben Margarete.
»Gibt es nicht die Möglichkeit, mit der Bahn nach Cobán zu reisen und die Pferde zu schonen?«, fragte er und musterte sie mit besorgter Miene. »Es wäre schneller, oder?«
»Von Guatemala-Stadt aus führt ein Weg nach Cobán«, antwortete Georg. »Es würde uns viel Zeit ersparen, aber auch viel Geld verschlingen.«
»Geld ist kein Problem.« Robert legte Margarete die Hand auf den Arm. »Ich werde für alles aufkommen.«
»Danke«, antwortete sie nur und schaute ihn an. »Ich danke dir sehr. Du bist ein guter Mensch.«
55 Bremen 2011
Cobán, 2. November 1902
Meine Hand zittert beim Schreiben. Zu viel ist geschehen. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Juan ist tot und wird sein Kind niemals in den Armen halten können. Was ich bei unserem Wiedersehen bereits geahnt hatte, hat sich heute bewahrheitet. Margarete ist schwanger. Von Juan. Das hat sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, heute, vor der Beerdigung.
Was wird ihr Vater sagen, wenn er das erfährt? Ich habe versprochen, ihr in allem beizustehen, aber sie meinte, dass sie meine Hilfe nicht brauche. Erst war ich ein bisschen beleidigt, dann atmete ich auf. Ich muss zuerst meine Eltern finden, dann kann ich an andere Menschen denken. Ist das egoistisch von mir?
Heute Nachmittag war Juans
Weitere Kostenlose Bücher