Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
schnappte Isabell, als ob Julia ihr auf die Füße getreten wäre, »sondern mit der Geschichte. Und Leute wie deine Familie haben gewaltig zu den Schwierigkeiten des Landes beigetragen.«
»Was soll das denn heißen? Meine Familie lebt in Bremen und wir verkaufen fair gehandelten Kaffee.«
»Ach so. Gutmenschen seid ihr. Und deine Vorfahrin, die Firmengründerin, die war wohl auch schon eine Menschenfreundin. Die hatte bestimmt was dagegen, dass den Maya von der Regierung das Land weggerissen wurde, um es den deutschen Einwanderern für den Kaffeeanbau zu geben.« Isabell konnte sich ihren Zynismus nicht verkneifen. »Und zum Dank durften die indígenas auf den Fincas wie Sklaven schuften.«
»Wenn du so drauf bist, können wir uns das Projekt schenken.« Julia bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Am besten erstellen wir eine Gliederung, teilen die Sachen auf und treffen uns noch ein- oder zweimal, um die Ergebnisse zusammenzupacken.«
»Sorry. Ich hätte mich nicht so aufregen sollen.« Isabell stand auf und ging durch ihr Zimmer. »Manchmal … also … alle Leute starten immer einen Angriff auf Guatemala, und da fühle ich mich verantwortlich.«
»Ich wollte dich nicht angreifen und das Land auch nicht«, lenkte Julia ein. »Vielleicht habe ich ein bisschen übertrieben mit meiner Kritik.«
»Ich will die Probleme des Landes nicht kleinreden. Der Bürgerkrieg ist zwar beendet, aber immer noch werden die Maya benachteiligt. Armut und fehlende Bildung sind die schlimmsten Probleme.« Isabell strich sich durch die Haare. »Oh Mann, jetzt höre ich mich an wie eine Politiklehrerin.«
Julia sagte gar nichts, sondern grinste nur. Schließlich streckte sie die Hand aus: »Frieden?«
»Frieden.« Isabell schlug ein.
»Also, wie würdest du die Situation in Guatemala erklären. Wie sind die Indios?«
»Den Begriff ›Indio‹ betrachten die Maya-Nachkömmlinge als Schimpfwort. Chapínes nennen sich die Guatemalteken selbst«, dozierte Isabell, was Julia die Augen verdrehten ließ. »Das umfasst alle, sowohl Ladinos als auch Indígenas.«
»Ladinos?« Vorher hatte sich Julia nie mit dem Land beschäftigt, aus dem der Reichtum ihrer Familie stammte. »Sind das die Maya?«
»Die Nachkommen der Spanier und Maya, also Mischlinge.« Isabell musterte Julia kritisch. »Sitzen in allen wichtigen Positionen und haben sozusagen die Herrschaft über Guatemala unter sich aufgeteilt. Auf Kosten der Indígenas, der Nachfahren der Maya.«
Julia schluckte. Sie wollte nicht glauben, dass Margarete arme Menschen ausgebeutet hatte und dass ihre Firma auf Enteignung und Unglück aufgebaut war.
»Müssen wir das alles für unsere Arbeit wissen?«, versuchte Julia Isabell auszubremsen. Sie war gern bereit, Zeit und Energie in das Projekt zu investieren, aber alles hatteseine Grenzen. »Wir sollen doch nur über das beginnende 20. Jahrhundert schreiben.«
»Interessiert dich das Land denn gar nicht?« Isabell wirkte enttäuscht.
»Doch schon, aber nach der ersten Recherche hatte ich den Eindruck, dass so unheimlich viel dort geschehen ist.« Julia bemühte sich, eine freundliche Ablehnung zu formulieren. Sie hatte weder Zeit noch Energie, in die Tiefen der guatemaltekischen Geschichte und Politik vorzudringen. »Ich fand es schwer, mir ein Bild zu machen.«
»Warte mal.« Isabell legte eine CD ein. »Hier, etwas aus Guatemala.«
Seltsame Klänge erfüllten das Zimmer. Ethno oder Weltmusik oder so etwas. Isabell trommelte mit den Händen in der Luft, als ob sie Schlagzeug spielte. Nein, nicht Schlagzeug, etwas anderes. Das Wort lag Julia auf der Zunge, aber es fiel ihr nicht ein.
»Was ist das?«, fragte sie nach ein paar Minuten. »Erinnert mich an den Song, den die Black Eyed Peas gemacht haben. Más que nada oder so.«
»Das ist DIE guatemaltekische Musik. Marimba. Kommt ursprünglich von den Westindischen Inseln.« Isabell suchte auf ihrem Notebook ein Bild und zeigte es Julia.
»Was ist das? So eine Art Xylophon?«
»Nicht ganz. Unter dem Xylophon-Ding hängen ausgehöhlte Kalebassen als Klangkörper, die den besonderen Sound geben. Man spielt es mit Kautschukklöppeln. Und übrigens nur Männer.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Aber eine Frau an der Marimba hat es noch nie gegeben. Wird vielleicht mal Zeit.«
»So weit muss die Emanzipation ja nicht gehen, oder?« Hoffentlich verstand Isabell den Witz. »Oder möchtest du die erste Marimba-Spielerin der Welt werden?«
»Mir gibt es ein Gefühl von zu Hause. Wenn ich
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