Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
der Maya gar nicht so sehr von der Schöpfungsgeschichte des Christentums.
»Einige Holzgeschöpfe überlebten und wurden die Vorfahren der Affen«, erzählte der Schamane weiter. »Die Götter wollten einen letzten Versuch unternehmen und mischten ihr Blut mit Maismehl. Daraus entstanden die Maismenschen, die den Göttern gefielen. Darum bedeutet uns der Mais so viel.«
»Das ist wirklich spannend.« Elise legte die Fingerspitzen aneinander und überlegte, ob sie weitere Fragen stellen durfte. Bevor sie etwas sagen konnte, sprach einer der Träger den Brujo an. Nach einem kurzen Wortwechsel in der Maya-Sprache wandte sich der Schamane an Elise.
»Du solltest jetzt besser schlafen gehen. Morgen erwartet dich wieder ein aufregender Tag.«
Elise stand auf. »Ich danke Ihnen.« Sie trat von einem Bein auf das andere. »Darf ich morgen Abend wiederkommen?«
»Gern, doch ich muss leider abreisen. Es warten noch andere Pflichten auf mich. Incuan bi. « Der Brujo schaute Elise in die Augen. »Aber wir sehen uns wieder.«
W ollen wir nicht endlich in den Norden nach Cobán oder Tikal reisen?« Elise schaute von dem Kompass auf, den sie ihrem Vater abgeschwatzt hatte. Wenn sie sich schon durch Urwald und Dschungel schlagen musste, dann wollte sie wenigstens in der Lage sein, sich orientieren zu können.
»Da ich fürchte, dass du wohl nie wieder freiwillig nach Guatemala reisen wirst …«, ihre Mutter lächelte Elise mit einer Mischung aus Spott und Traurigkeit an, »… sollten wir dir ein paar Schönheiten des Landes zeigen.«
»Ich habe schon mehr gesehen, als ich je wollte«, antwortete Elise pampig. Heute Morgen war ihr eine Tarantel über den Weg gelaufen.
»Du wirst sehen, der Atitlán-See wird dir gefallen.« Georg hatte sein Pferd neben sie gelenkt und versuchte, sie aufzuheitern. »Humboldt meinte, es sei der schönste See der Welt.«
Ein kurzes Stück weiter, traute Elise ihren Augen nicht, als der Atitlán-See vor ihnen auftauchte. Eine gewaltige tiefblaue Fläche breitete sich vor ihnen aus. Sie ritten hoch über dem Ufer und Elise stockte der Atem ob dieses fantastischen Naturschauspiels.
»Oh, ist das schön! Und die Berge im Hintergrund …«
»Atitlán, Toliman und San Pedro. Vulkane.« Georg nickte Elise zu. »Aber keine Sorge. Sie sind ruhend.«
Dennoch setzte Elises Herz einen Schlag aus. Seitdem sie Die letzten Tage von Pompeji gelesen hatte, empfand sie Vulkane als sehr bedrohend.
»Und was denkst du?«, flüsterte Elise mit krächzender Stimme. Sie freute sich, dass Georg sie wahrnahm, und damit er weiter mit ihr redete, hätte sie sogar über Taranteln gesprochen. Vielleicht sogar eine gestreichelt.
»Ich mag das Land. Du anscheinend nicht so, oder?« Georg lächelte. Seine Frage klang, als ob er ehrlich an Elises Meinung interessiert wäre.
»Ja … nein … ach, ich weiß es nicht.« Elise überlegte kurz. »Ich weiß zu wenig über Guatemala, um es nicht zu mögen. Aber was ich auf keinen Fall mag, ist, dass meine Eltern mich hierherverschleppt haben, ohne mich nach meiner Meinung zu fragen.«
»Vielleicht wollten sie einfach gern mit dir zusammensein.« Georg schaute stur geradeaus. »Hast du daran schon mal gedacht?«
Elise merkte, wie ihr Hals und ihre Ohren heiß wurden. Wie hatte sie nur so unsensibel sein können? Georgs Mutter war gestorben, sein Vater schien verschwunden. Er sprach niemals von ihm und Elise hatte nichts Besseres zu tun, als sich die ganze Zeit über ihre Familie zu beschweren. Was sollte er von ihr denken?
»Weißt du gar nichts von deinen Eltern?« Kaum hatte Elise die Worte ausgesprochen, bereute sie sie bereits wieder. Georgs Gesicht wirkte wie versteinert. Er sah sie an mit einem Blick voller Traurigkeit, der ihr ins Herz schnitt. »Entschuldige. Ich wollte nicht neugierig sein.«
»Nein, gar nicht?« Georgs Stimme klang kühl. »Aber damit du Ruhe gibst. Mein Vater war Deutscher, ein Archäologe, meine Mutter Ägypterin.«
Elise schaute zu Boden und wagte es nicht, Georg anzusehen. Das, was er gesagt hatte, wusste sie ja schon zum Teil. Dennoch warf es mehr Fragen auf, als es Antworten gab. Stumm ritten sie eine Weile nebeneinanderher.
»Was machst du eigentlich jeden Abend bei den Indios?«, fragte Georg plötzlich mit gelassener Miene, sodass Elise meinte, sich verhört zu haben. »Keine Sorge, deine Eltern haben es nicht bemerkt.«
»Ich … ich … ich«, stammelte Elise, während sie verzweifelt nach einer Erklärung suchte. Dann
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