Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
Margarete-Archiv.« Es erschien ihr am klügsten, die Wahrheit zu sagen, allerdings nur das Nötigste.
Ihr Vater schaute hoch und wechselte einen Blick mit ihrer Mutter. Der Groll über die verschwiegene Fast-Insolvenz regte sich wieder in Julia. Gab es noch etwas, das sie wissen müsste?
»Übertreibt ihr nicht ein bisschen?«, fragte Konstantin Linden schließlich. »Es ist ein Schulprojekt, keine Doktorarbeit.«
»Ihr wolltet, dass ich bessere Noten bekomme«,antwortete Julia gereizt. Der Schulwechsel, Beas und Hannahs Verhalten und die Geheimnistuerei ihrer Eltern gingen ihr ziemlich an die Nieren. »Also kann ich erwarten, dass ihr meine Bemühungen unterstützt, oder nicht?«
»Dein Vater hat recht, Julia.« Sophia Linden saß wie immer sehr gerade und schien eine Mauer aus Eis um sich gezogen zu haben. »Du solltest deine Energie nicht nur auf ein Fach konzentrieren. Mathematik ist eher deine Schwäche als Geschichte.«
»Meine Güte. Ich will nur in ein blödes Archiv, um ein paar angestaubte Papiere zu lesen, und ihr tut so, als ob ich von euch die Erlaubnis wollte … was weiß ich … eine Amazonas-Expedition zu unternehmen.« Julia sprang so hastig auf, dass ihr Stuhl umkippte. Das Krachen knallte in die Stille, die ihren Worten folgte. »Dann eben nicht.«
Weil sie wusste, wie sehr sie ihre Mutter damit verärgerte, rannte sie ohne Abschied aus dem Esszimmer und knallte die Tür zu. Das tat gut. Draußen holte sie tief Luft. Hatte sie eben übertrieben? Egal. Wichtig war nur, dass sie endlich einmal Widerstand geleistet und ihren Standpunkt deutlich gemacht hatte. Allerdings hätte sie sich gewünscht, dass es um etwas Wichtigeres gegangen wäre als um uralte Archivunterlagen.
In ihrem Zimmer setzte sie sich vor ihren PC und überlegte, Hannah oder Bea bei Facebook anzustupsen. Aber eigentlich hatte sie keine Lust mehr, sich mit ihnen zu schreiben. Heute wollte sie von niemandem mehr etwas hören. Da konnte sie ebenso gut am Projekt weiterarbeiten. Sie öffnete die Datei »Guate 1902«, überflog, was sie bisher geschrieben hatten, und überlegte, welche Fragen noch geklärt werden mussten.
Einige Zeit später klopfte es an ihrer Tür. Julia erwartete nicht, dass ihre Eltern heute noch mit ihr reden wollten.
»Ja bitte.« Julia drehte ihren Schreibtischstuhl zur Tür.
»Obwohl ich es grundsätzlich nicht richtig finde, deinen kindischen Trotz zu belohnen …« Ihre Mutter trat ins Zimmer. Ruhig und gelassen, als ob es die Szene beim Abendessen nie gegeben hätte. »… habe ich hier die Erlaubnis für dich.«
»Danke.« Julia bemühte sich nicht, das Erstaunen in ihrer Stimme zu verbergen. Sie hätte Wetten darauf abgeschlossen, dass ihre Eltern nicht nachgeben würden. Oder wenn überhaupt, dann ihr Vater. Julia stand auf und streckte die Hand nach dem Papier aus, das ihre Mutter ihr entgegenhielt.
»Unter einer Bedingung.« Aha, so lief das also. Julia hätte sich auch nicht vorstellen können, dass ihre Mutter einfach so nachgab. »Dein Vater und ich möchten das Referat lesen, bevor ihr es abgebt.«
»Wie bitte?« Julia glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Ihr wollt unsere Arbeit zensieren?«
»Ach, Julia.« Schärfe prägte die Stimme ihrer Mutter und auf Sophia Lindens Gesicht entdeckte Julia Spuren von Erschöpfung, die auch das beste Make-up nicht überdecken konnte. »Wir wollen dir nichts verbieten. Dein Vater und ich möchten nur wissen, was ihr herausfindet, und möchten dann gern mit dir darüber reden.«
»Aber Isabell und ich dürfen schreiben, was wir für richtig halten?« Julia blieb misstrauisch. Sicher hielt sich ihre Mutter noch irgendein Hintertürchen offen.
»Ja. Du bist alt genug, um zu entscheiden, was richtig und was falsch ist.«
»Aber was sollen wir eigentlich herausfinden? Was fürchtet ihr denn?« Julia schluckte. Langsam begann sie sich zu fragen, ob sie wirklich erfahren wollte, was sich in Elises letztem Tagebuch verbarg. Dann jedoch siegte der Trotz. Ihre Eltern schienen zu wissen, was sie erwartete, und behandelten sie immer noch wie ein Kind, dem man die Wahrheit besser nur häppchenweise servierte. »Ach, ich will es gar nicht wissen.«
»Gut. Wenn du meinst.« Sophia Linden reichte ihrer Tochter die Bescheinigung, gedruckt auf ihrem eleganten, blassblauen Briefpapier. Julia erinnerte sich daran, wie sehr sie als Kind das Papier bewundert und ihre Mutter angefleht hatte, ihr ein paar Bögen davon zu schenken. Lachend hatte diese abgelehnt und
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