Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
warum sollten sie wegen der alten Geschichten eine solche Geheimnistuerei veranstalten? Das ist doch alles schon mehr als hundert Jahre her.«
»Keine Ahnung.« Julia zuckte die Achseln. »Hat nicht jede Familie ein dunkles Geheimnis?«, fragte sie und versuchte, möglichst sorglos zu klingen.
»Und wir sind die Aufrechten, die nicht aufgeben und suchen und weitersuchen, bis sie das letzte Tagebuch gefunden haben und alle Geheimnisse gelüftet sind?« Isabell zog den linken Mundwinkel nach oben und schüttelte den Kopf. »Es gibt bestimmt eine ganz simple Erklärung. Papierknappheit oder ein gebrochener Arm oder was weiß ich …«
45
»Wie ist denn die Uni an Elises Tagebuch gekommen?«, fragte Julia, nachdem Isabell ihr die gute Nachricht überbracht hatte. Julia saß mit unterschlagenen Beinen auf dem roten Bettsofa in Isabells Zimmer und streichelte den dicken grauen Kater, der ihr gefolgt war. Der Geschichtsunterricht war heute ausgefallen, Frau Haberkorn lag mit einer schweren Grippe im Bett. »Lina hat schließlich Stein und Bein geschworen, dass sie keine Tagebücher weggegeben hat.«
»Hat sie auch nicht.« Isabell schien es zu genießen, Julia ein bisschen zappeln zu lassen. »Deine Familie war es.«
»Wie bitte? Was soll das heißen?« Julia schaute Isabell skeptisch an. »Wie sollen wir an das fehlende Tagebuch gekommen sein?«
»Es hat mir keine Ruhe gelassen. Also haben Lina und ich gestern Nacht den Dachboden durchforstet in der Hoffnung, das Tagebuch doch noch zu finden. Haben wir nicht, dafür aber …« – Isabells Wangen glühten vor Begeisterung – »… Briefe von Margarete an Elise. Und in einem davon hat Margarete sich für das Tagebuch bedankt.«
»Wer verschenkt denn ein Tagebuch?« Julia hätte Bea oder Hannah niemals auch nur einen Blick in ihre Tagebücher werfen lassen und würde niemals eines davon weggeben. »Stand in dem Brief eine Erklärung?«
»Nein.« Isabell hob die Hände. »Um dasherauszufinden, müssen wir wohl ins Margarete-Archiv. Falls die das Tagebuch überhaupt archiviert haben – schließlich ist es von Elise.«
»Ach nee. Also muss ich meine Eltern jetzt um eine Unterschrift bitten.« Julia runzelte die Stirn. Im Moment herrschte Schweigen zwischen ihr und ihren Eltern. Deshalb wäre es ihr lieber gewesen, wenn ihre Eltern dazu gezwungen wären, sie um etwas zu bitten als umgekehrt.
»Wieso?« Isabells Gesicht war ein großes Fragezeichen. »Was für eine Unterschrift?«
»Hallo?« Julia schaute gespielt grimmig. »Hast du mir nicht zugehört?«
Isabell kratzte sich am Kopf. »Klar habe ich das. Meistens jedenfalls.«
»Das Margarete-Archiv ist nicht öffentlich zugänglich. Da kommt man nur mit Erlaubnis der Familie rein.«
»Selbst wenn du eine Verwandte bist?« Isabell runzelte die Stirn. »Gibt es da keine Sonderregelungen?«
»Vielleicht. Aber nur, wenn man volljährig ist«, antwortete Julia. Unser Projekt kommt leider ein paar Monate zu früh.«
»Tja, dann kennst du ja deinen Job.« Isabell zuckte die Schultern. »Oder soll ich sie fragen?«
»Nein. Nein.« Julia lächelte schwach. »Das schaffe ich schon noch.«
I ch brauche eine Unterschrift von euch«, sagte Julia betont gelassen, als sie mit ihren Eltern beim Abendessen saß. Ihr Vater wirkte leicht abwesend. Sein sonst stets makelloser Anzug wies Knitterfalten auf und er schaute sie überrascht an. Ihre Mutter hingegen sah aus wie immer. »Für die Schule.«
»Gern. Entwirf den Text und ich unterschreibe.« Konstantin Linden lächelte Julia kurz an und schob das Roastbeef auf seinem Teller von links nach rechts. »Wenn du es heute Abend nicht mehr schaffst, dann musst du eben morgen ins Büro kommen.«
Julia nickte. Das ging ja einfacher als erwartet.
»Nicht so überstürzt.« Mist. Es hätte Julia schwer gewundert, wenn ihre Mutter sich nicht eingemischt hätte. »Möchtest du von unserer Tochter nicht wissen, wofür sie unsere Zustimmung benötigt?«
»Wenn du meinst.« Ihr Vater sah nicht einmal auf. Er goss sich ein weiteres Glas Wein ein. Die Farbe des Getränks schien ihn deutlich mehr zu interessieren als die Frage seiner Frau. »Also, worum geht es?«
Julia überlegte, wie sie mit einer geschickten Formulierung verhindern könnte, dass ihre Eltern zu viel erfuhren. Bisher waren ja einige Unstimmigkeiten in Margaretes Biografe aufgetaucht. Ob ihre Eltern wirklich nichts von Juan wussten?
»Um das Geschichtsprojekt abschließen zu können, brauchen wir Texte aus dem
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