Im Land der Mond-Orchidee
war,
in ihrer eigenen Sprache angeredet zu werden. Was sie meinte, war ohnehin klar. Wie du aussiehst! Deine Haarfarbe! Deine Augenfarbe! Nichts
da, nicht für uns! Verschwinde, aber schnell, und lass uns in Frieden!
Neele schwieg. Sie war zu müde und hatte viel zu viele Sorgen, um
sich mit erboster Verwandtschaft herumzustreiten. Ihr ging es nur darum, dass
Lennert sich durchsetzen konnte und Ameya die Nacht in Sicherheit verbrachte.
Dr. Bessemer, der solche Mittlerdienste wohl schon oft geleistet
hatte, tat sein Bestes, und tatsächlich gelang es ihm schlieÃlich, dass die
Familie einigermaÃen beruhigt abzog. Augenscheinlich hatte man sich geeinigt,
dass der Verletzte erst in die Stadt gebracht werden sollte, sobald sein
Zustand das ohne Gefahr zulieÃ. Die beiden erwachsenen Brüder allerdings
blieben im Haus, und beide waren mit Gewehren bewaffnet. Es war offenkundig,
dass sie eine Wiederholung des Angriffs fürchteten.
Erst spätabends kehrte halbwegs Ruhe ein. Ameya lag still auf dem
Rücken, eine Hand auf der straff verbundenen Brust, die andere in Neeles Hand.
Er lächelte sie mit blassen Lippen an, aber als er etwas sagen wollte, bedeutete
sie ihm zu schweigen.
»Still. Streng dich nicht an. Jedes Wort, das du sprichst, kann
deine Wunde wieder aufreiÃen lassen. Wir wollen über das alles sprechen, sobald
es dir wieder gut geht.«
Sie erbot sich, bei dem Kranken Wache zu halten. Ihr Angebot wurde
angenommen, aber sie musste die drei Stunden, die sie an seinem Bett saÃ, in
ungemütlicher Gesellschaft verbringen. Der Ãltere seiner beiden Brüder bestand
darauf, ebenfalls Wache zu halten. Sein Gewehr auf den Knien, saà er reglos auf
einem Stuhl, und sooft ihre Blicke sich trafen, schrak Neele vor der Feindseligkeit
zurück, mit der er sie betrachtete. Ihr einziger Trost war, dass es Ameya
einigermaÃen gut ging. Er schlief ruhig und hatte kein Fieber.
Um drei Uhr morgens löste eine der Klosterfrauen sie ab, und Neele
begab sich todmüde zu Bett. Sie hatte das Gefühl, dass die unverhohlene
Abneigung der Familie sie mehr erschöpft hatte als der Schrecken über den heimtückischen
Angriff und die lange Nachtwache. Was hatte sie den Leuten getan, dass sie ihr
so bösartig begegneten? Sie konnte doch nichts dafür, dass sie eine Deutsche
war. Sie hatte ihnen nichts weggenommen und lebte nicht auf ihre Kosten.
Freilich, wenn sie an Dekkers Schlüsselroman dachte, waren die über
Jahrhunderte ausgebeuteten und gedemütigten Menschen wohl nicht mehr in der Lage,
feine Unterschiede zwischen den Europäern zu machen, die in ihr Land
eingedrungen waren.
Obwohl sie spät schlafen gegangen war, erwachte sie im Morgengrauen.
Lennert war ebenfalls früh aufgestanden, denn als sie in die Diele
hinunterging, stieà sie dort auf ihn. Er konnte berichten, dass er seinem
Patienten eben einen ersten Besuch abgestattet und ihn in einem leicht
gebesserten Zustand vorgefunden hatte. Es dürfe nur keine Infektion dazukommen,
und die Wunde müsse verheilen, dann konnte er wieder auf die Beine kommen,
obwohl es freilich eine Weile dauern würde.
Neele lächelte. »Dann gehe ich jetzt hinein und wasche ihn.«
»Lass das die Nonnen machen, sonst bekommen wir nur wieder Ãrger mit
seiner Familie. Und die Klosterfrauen haben Ãbung darin, mit Kranken und
Verwundeten umzugehen.«
»Gut, dann werde ich ihn später besuchen.«
Lennert nickte ihr zu und ging in die Küche hinunter, um sich seinen
Frühstückskaffee zu holen. Neele überlegte, ob sie ihm folgen sollte, aber dann
drängte es sie zu sehr, Ameya zu sehen und sich zu vergewissern, dass es ihm
besser ging. Sie konnte nicht länger warten, sondern öffnete die Tür des
Krankenzimmers und trat ein.
Ein Aufstöhnen des Entsetzens empfing sie
und ein Anblick, so verwirrend, dass sie nur dastand und starrte. Schwester
Florinda hatte das Laken beiseitegezogen und den nackten Körper auf die Seite
gedreht, um ihn zu waschen â einen Körper, der Neele in diesem Augenblick halb
der eines Mannes, halb der einer seltsam gefleckten Kreatur zu sein schien. Vom
linken Knöchel über die Wade bis hinauf zur Hüfte und auf der rechten Seite vom
halben Rücken bis zur Schulter war die dunkle Haut netzartig unterbrochen von
unregelmäÃigen rosig-weiÃen Flecken, die da und dort wie verspritzte Milch auf
den Armen ausliefen.
Sie stieÃ
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