Im Land der Mond-Orchidee
unter Klosterfrauen, die das jederzeit bestätigen können. Herr Simms
hätte es wohl gern, dass ich seine Geliebte würde, aber da kann er lange warten.«
»Dennoch mag er darin einen Grund gesehen haben, gegen einen
Nebenbuhler vorzugehen.«
Sie schluckte. Der Richter musste im deutschen Dorf eine Menge
Fragen gestellt haben, ehe er hierhergekommen war. Zweifellos hatte man ihm
alle Gerüchte brühwarm serviert, von der angeblichen Liebesbeziehung zwischen
Neele und Jürgen bis zu Ameyas Interesse an ihr. Eine erboste Antwort lag ihr
auf der Zunge, aber sie beherrschte sich und antwortete nur: »Das müssen Sie
Jürgen Simms selber fragen.«
»Genau das werde ich tun, Frau Selmaker. Und nun ⦠haben Sie
irgendeine Vorstellung davon, wer einen Anlass haben könnte, Herrn Ameya den
Tod zu wünschen?«
Diesmal fiel ihr die Antwort leichter. Sie erzählte dem Richter, wie
der Suduk sie bedroht und belästigt hatte und wie Ameya ihm mit scharfen Worten
entgegengetreten war. Sie wäre sehr froh gewesen, mit Sicherheit sagen zu
können, dass der Schamane hinter dem feigen Anschlag steckte, denn er war ein
Fremder und ein unsympathischer Fremder für sie. Jürgen dagegen war bei allem
Ãrger, den sie ihm gegenüber empfand, ein Gefährte aus Jugendtagen. Er hatte
als Knabe neben ihr in der Schule gesessen, hatte ihr den heidnischen
Opferstein und die Gruft unter der Kirche gezeigt, war auf dem alten Gaul der
Simms mit ihr durch das sommerliche Moor geritten. Sie schauderte bei dem
Gedanken, er könnte in seiner Gier, sie zu besitzen, einen Mordversuch auf sein
Gewissen geladen haben.
»Ich kann mir vorstellen, dass der Suduk der Täter war«, sagte sie,
»aber mit Bestimmtheit weià ich es natürlich nicht.«
Der Richter nickte und wartete, bis sein Sekretär diesen Teil ihrer
Aussage niedergeschrieben hatte, dann stellte er in rascher Folge Fragen. War
Jürgen ein jähzorniger und nachtragender Mensch? Stimmte es, dass er Ameyas Besuche
über längere Zeit hinweg aufmerksam beobachtet und sich zu diesem Zweck sogar
ein Fernrohr geliehen hatte? Hegte er eine Abneigung gegen die Einheimischen?
Würde der Gedanke, dass die Frau seiner Träume mit einem Javaner liiert war,
heftigen Ãrger in ihm wachrufen? Konnte er Pfeil und Bogen gebrauchen? Neigte
er zu unbedachten Handlungen, wenn sein Zorn geweckt wurde?
Neele musste jede dieser Fragen bejahen, obwohl sie sich bemühte,
ihre Antworten mit dem Zusatz abzumildern, dass sie sich Jürgen nicht als
Mörder vorstellen konnte. Er mochte ein Hitzkopf sein, der sich von seinem
Temperament mitreiÃen lieÃ, aber jemand kaltblütig töten â nein, das würde er
nicht. Sie hätte ihm jederzeit zugetraut, dass er im Verlauf eines Wortwechsels
auÃer sich geriet und einen Gegner mit Fäusten attackierte, aber er würde sich
nicht im Wald verstecken und auf sein Opfer lauern. Und woher sollte er
überhaupt Pfeil und Bogen eines Eingeborenen haben? Im deutschen Dorf gab es
dergleichen nicht zu kaufen.
Der Richter blickte kurz von seinen Papieren hoch. »Diese Frage
haben Sie sich also gestellt, Frau Selmaker? Das ist klug von Ihnen. Ich habe
mich nämlich dasselbe gefragt und eine Antwort gefunden. Richard Hagedorn, der
ein begeisterter Jäger ist, besitzt eine Sammlung landesüblicher Waffen,
darunter auch mehrere Bogen und die dazugehörigen Pfeile. Was mich zu der
weiteren Frage führt, ob Herr Hagedorn ein Interesse daran haben könnte, den
Wedono zu töten?«
Neele suchte vergeblich nach einer Antwort. Richard hatte sich
mehrfach auf eine hässliche und hämische Art über Ameya geäuÃert, seine
Verachtung für die Einheimischen war offenkundig, aber deswegen brachte man
doch niemand um. Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Könnte er ebenfalls in Sie verliebt sein?«,
bohrte der Untersuchungsrichter weiter.
»Warum sollte er? Er ist verheiratet.«
»Sie sind sehr schön, Frau Selmaker«, stellte der Beamte in einem
völlig emotionslosen Ton fest, als redete er von der Schönheit eines Gemäldes
oder einer Statue. »Mehr als ein Mann im deutschen Dorf ist in Sie verliebt. Es
ist meine Meinung, dass wir es bei dem Anschlag auf Herrn Ameya nicht mit einem
politischen Attentat zu tun haben, auch nicht mit dem Racheakt eines
erbitterten Suduk, sondern mit einem Angriff aus persönlicher Eifersucht.
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