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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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dann ist es zweifellos wahr, und unsere einzige Sorge muss
sein, dass andere Menschen so unverständig sind. Hab keine Angst. Außerdem,
wenn wir Kinder haben, so werden sie eine viel hellere Haut haben, und man
würde es kaum sehen, meinst du nicht?«
    Er schloss halb die Augen. »Findest du mich hässlich?«
    Â»Nein. Warum auch? Es sind nur Flecken.«
Sie blickte ihn an, und plötzlich begriff sie, warum er so seltsam bereitwillig
gewesen war, sein Heimatland zu verlassen. Seine Familie mochte ihre Wurzeln hier
haben, aber er war von Geburt an ein Ausgestoßener. Er
gehörte nicht zu seinem Volk. Sie hatten ihn ausgeschlossen. Was für ein
elender Aberglaube, der einen guten und klugen Menschen in den Verruf brachte,
ein Ungeheuer zu sein! Zorn überkam sie. Wie konnten die Menschen hier so
einfältig sein? Glaubten sie wirklich, ein Mann könne sich nachts in einen
Jaguar verwandeln, durch ihr Fenster springen und ihre Kinder zerreißen? Aber
dann fiel ihr ein, dass in Norderbrake auch das Gerücht umgegangen war, eine
alte Frau, die ein wunderliches Wesen an den Tag legte, sei eine Hexe. Man
hatte den Kindern eingeschärft, sie nicht zu ärgern, sonst würde sie ihnen
einen Buckel anhexen, und auch die Erwachsenen hatten sich vor ihr gefürchtet.
So waren also die Deutschen nicht viel klüger als die abergläubischen Insulaner
auf der anderen Seite der Erdkugel.
    Neele drückte fest Ameyas Hand. »Ich verstehe jetzt«, sagte sie,
»warum du daran denkst, dein Heimatland zu verlassen und nach Australien zu
gehen.«
    Er nickte. »Ich habe oft das Gefühl, es hier nicht länger
auszuhalten. Ich ertrage es nicht, wie meine eigene Familie vor mir
zurückweicht. Sie bemühen sich alle, ihre Pflichten mir gegenüber zu erfüllen,
aber ich fühle, dass sie Angst haben. Sie vermeiden es, des Nachts mit mir allein
zu sein. Mein Zimmer im Hause liegt weitab von den ihren, und sie verschließen
nachts die Türen, was hier sonst nicht der Brauch ist. Als die Diener von dem
Jaguar erzählten, der Pastor Ormus zerrissen hat, merkte ich, wie sie mich von
der Seite ansahen und hinter mir flüsterten. Vielleicht war ich ja dieser
Jaguar gewesen, wer weiß? Sie beruhigten sich erst, als sie hörten, dass der
deutsche Wirt das Tier erschossen und sein Fell im Hinterzimmer aufgehängt
hatte.« Seine Stimme war beim Sprechen immer leiser
geworden. Neele, die ihm seine Erschöpfung deutlich ansah, gebot ihm, nicht
mehr weiterzusprechen. Er sollte sich ausruhen, um bald wieder zu Kräften zu
kommen.
    Niemand war da, der sie sehen konnte, also beugte sie sich über ihn
und drückte einen Kuss auf seine Wange, ehe sie das Zimmer verließ.

2
    D er mörderische
Anschlag gegen einen Wedono war keine geringfügige Sache, und so erschien am
Vormittag eine eindrucksvolle Prozession von holländischen Beamten im
Waisenhaus: ein Untersuchungsrichter, ein hoher Polizeibeamter, mehrere
Sekretäre und Polizisten sowie vier Soldaten. Sie luden die drei Deutschen
einen nach dem anderen zum Verhör in das ehemalige Schulzimmer.
    Neele fand sich Angesicht zu Angesicht mit einer Gruppe finster und
argwöhnisch blickender Männer, die sie betrachteten, als stünde die Schuldige
an dem Attentat direkt vor ihnen – obwohl sie doch längst wissen mussten, dass
Lennert, Paula und Neele sich in unmittelbarer Nähe des Opfers befunden hatten,
als der Pfeil aus dem Waldesdickicht geflogen kam. Der Untersuchungsrichter
hatte auf dem Katheder Platz genommen. Von dieser einschüchternden Höhe herab
stellte er ihr eine Menge Fragen nach ihrer Herkunft und ihrem Aufenthalt in
Java, einschließlich der Frage, von wem sie schwanger sei.
    Zorn rötete ihre Wangen bei dieser unnötigen und unhöflichen Frage.
»Ich wüsste nicht, was das mit dem Anschlag auf Herrn Ameya zu tun hätte«,
antwortete sie scharf. »Aber da Sie mich fragen, will ich Ihnen die Antwort
nicht schuldig bleiben: Das Kind ist das meines Gatten, Frieder Selmaker, der
mich heimtückisch verlassen hat, als wir in Bremerhaven an Bord gingen.«
    Der Richter tat, als hätte er ihren grimmigen Ton nicht bemerkt.
Gleichmütig fuhr er fort: »Sie haben zurzeit einen deutschen Geliebten, sagte
man mir. Einen Mann namens Jürgen Simms, der aus Ihrem Heimatort stammt.«
    Â»Ich habe weder einen deutschen noch einen anderen Geliebten. Ich
lebe hier

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