Im Land der Mond-Orchidee
dachte, war natürlich Jürgen, aber konnte er wirklich so niederträchtig
sein? War es ihm zuzutrauen, dass er aus bloÃer Eifersucht heraus einen Mann
aus dem Hinterhalt zu töten suchte?
Im Waisenhaus standen die Schwestern bereit. Sie scheuchten alle,
die nicht gebraucht wurden, aus dem Haus, dann trugen sie den Verwundeten
hinein, legten ihn auf einen Tisch und brachten warmes Wasser. Lennert schickte
Paula um alle notwendigen medizinischen Requisiten, während er selbst die
Uniformjacke und das Hemd des Verletzten aufschnitt und die Wunde bloÃlegte.
Sie öffnete sich zwischen Schlüsselbein und Achsel, drang aber nicht bis zum
Rücken durch.
»Haben diese Pfeile Widerhaken?«, fragte
er.
Ameya stöhnte. »Ich glaube nicht, aber sicher kann ich mir nicht
sein. Wenn es ein richtiger Eingeborenenpfeil ist, kann er auch vergiftet sein.«
Der Arzt wies die Schwestern an, den Patienten festzuhalten. »Das
wird jetzt schlimm«, warnte er, »beiÃen Sie die Zähne zusammen.« Noch während er sprach, zog er an dem bunten Schaft an
und löste ihn aus der Wunde, der auf der Stelle ein Blutstrom entquoll. Ameya
war nahe daran, in Ohnmacht zu sinken, aber er hielt sich tapfer. Er brachte es
sogar fertig, mit verständlicher Stimme zu fragen, ob er den Pfeil sehen könne.
Als dieser weder Widerhaken noch die für Gift charakteristische schwarze Spitze
hatte, atmete er tief durch. Mit einem schwachen Lächeln sagte er: »Jetzt kann
es wehtun, so viel es will.«
Lennert machte sich ans Werk. Er reinigte die Wunde mit Alkohol und
stopfte sie dann mit Mull, um die Blutung zu stillen. Dann verabreichte er dem
Verletzten ein Messglas Opium und wies ihn an, möglichst ruhig liegen zu
blieben, um keine weitere Blutung auszulösen. »Sie müssen hierbleiben«, sagte
er. »Wir können nicht riskieren, Sie in diesem Zustand in einer Kutsche oder
auf einem Karren den ganzen weiten Weg bis zum Stads-Verband-Krankenhaus zu
transportieren. Wir werden aber Ihrer Familie einen Boten schicken.«
Inzwischen hatten die Nonnen einen Boten in die Stadt geschickt, der
Dr. Bessemer informierte, und dieser gab die Nachricht von dem hinterhältigen
Anschlag an Ameyas Familie weiter. Sofort eilten sie herbei: seine Eltern, zwei
Brüder und eine Reihe weiterer Verwandter. Sie kamen zu Pferd und in Kutschen
und brachten eine Sänfte mit, in der sie den Schwerverletzten in sein Vaterhaus
bringen wollten, denn Ameya hatte es ganz entschieden abgelehnt, in ein
öffentliches Krankenhaus gebracht zu werden.
Lennert tat sein Bestes, es ihnen auszureden. Jeder Stoà könnte die
mühsam gestillte Blutung wieder auslösen, es sei notwendig, dass der Patient
sich so wenig wie möglich bewegte. Sie hörten ihm gar nicht zu. Erst als Dr. Bessemer sich einmischte, zeigten sie sich immerhin gesprächsbereit.
Mittlerweile hatten die Nonnen eines der ehemaligen Lehrerzimmer als
Krankenzimmer eingerichtet. Neele saà an Ameyas Bett und flüsterte ihm immer
wieder Trostworte zu. Aus diesem Bemühen um ihn wurde sie jedoch roh
herausgerissen, als zwei Frauen in kostbarer einheimischer Tracht förmlich
durch die Tür stürzten und ihr bedeuteten, sie sollte auf der Stelle
verschwinden. Sie sprang auf und stellte sich vor das Bett, und während sie
ihren Platz verteidigte, schrie sie nach Dr. Bessemer. Was gesagt wurde,
verstand sie nicht, aber es war deutlich, dass eine heftige Auseinandersetzung
stattfand â und dass es dabei auch um sie ging. Die Aufforderung »Schafft die
Person da raus!« wurde mit Blicken und Gesten verständlich
gemacht, dazu brauchte es keine Worte. Sie reagierte damit, dass sie sich auf
den Stuhl am Kopfende des Bettes setzte und den Metallrahmen festhielt. So,
dachte sie. Ich kann euch auch ohne Worte klarmachen, dass ich mich hier nicht
wegekeln lasse. Seine Familie meinte es ja zweifellos gut, dass sie ihn nach
Hause bringen wollten, aber der Arzt und auch Schwester Florinda waren dagegen,
also würde sie es nicht zulassen.
Ihr Herz klopfte heftig, als die Jüngere der beiden Frauen an sie
herantrat und sich so nahe zu ihr beugte, dass sich beinahe ihre Nasenspitzen
berührten. In dieser Stellung lieà sie eine gehässige Rede auf sie los, obwohl
sie vermutlich wusste, dass Neele kein Sundanesisch verstand â vielleicht
machte sie es sogar absichtlich, um ihr zu zeigen, dass sie es nicht wert
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