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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Wer
den Pfeil abschoss, wollte ihn entweder einschüchtern, damit er die Hände von
Ihnen lässt, oder ihn aus dem Weg räumen.«
    Seine Worte trafen Neele wie Schläge. Bis dahin hatte sie sich noch
gar nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welches Motiv zu der Tat geführt
haben mochte. Vage Gedanken waren ihr durch den Kopf gegangen, nicht nur an den
Schamanen, sondern an die gesamte unruhige und rebellische Stimmung im Land.
Sie protestierte heftig. War es nicht viel wahrscheinlicher, dass javanische Rebellen
den Wedono angegriffen hatten, weil sie ihn als Kollaborateur mit der
Kolonialmacht betrachteten?
    Der Richter zuckte die Achseln. »Mag sein«, sagte er in einem Ton,
der verriet, dass er nicht viel auf diese Hypothese gab. »Sie können jetzt
gehen, Frau Selmaker. Wenn wir noch Fragen haben, melden wir uns wieder.«
    Neele verließ den Schulraum und stieg mit gesenktem Kopf die Treppe
hinunter. Es war ein bedrückender Gedanke, dass sie selbst die Ursache für das
Attentat sein mochte. War es so, dass ihre Liebe Ameya um ein Haar den Tod
gebracht hätte? Aber es gab noch eine weitere Möglichkeit, von der der Richter
nichts wusste: Vielleicht hatte der heimtückische Bogenschütze es nicht auf
einen Mann abgesehen gehabt, sondern auf einen Jaguar. Die warnende Zeichnung
an der Hauswand fiel ihr ein. Hatte jemand, der von Ameyas körperlicher
Besonderheit wusste, ihn aus abergläubischer Angst zu vernichten versucht?
    Sie hielt im Schritt inne, wollte schon zurückkehren und dem Richter
mitteilen, was ihr eingefallen war. Aber dann zögerte sie. Ameya würde nicht
wollen, dass sein Unglück noch weiter bekannt wurde. Auf jeden Fall würde sie
erst ihn selbst nach seinem Einverständnis fragen müssen, ehe sie noch einmal
zu den holländischen Beamten ging.
    Sie trat leise in das provisorische Krankenzimmer. Die
Klosterschwester, die darin Wache hielt, erhob sich bei Neeles Eintreten,
nickte ihr zu und verließ den Raum. Ameya lächelte ihr entgegen, sichtlich bemüht,
sich heiter und zuversichtlich zu zeigen. Seine Haut hatte jedoch einen grauen
Farbton, und seine Augen wirkten trübe und schläfrig.
    Als sie ihn nach seinem Befinden fragte, antwortete er leise: »Ich
bin sehr müde, das ist alles. Die Befragung durch den Untersuchungsrichter war
anstrengend, und ich konnte ihnen gar nichts sagen. Ich weiß nicht, wer auf
mich geschossen hat. Es mag der Suduk gewesen sein oder irgendein Javaner, der
mich aus politischen Gründen hasst … oder einer, der mich als ein wildes Tier
betrachtet.« Seine eingeschrumpften Lippen pressten
sich voll Bitterkeit zusammen.
    Â»Hast du dem Richter gesagt, dass so jemand als Täter infrage kommt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will nicht, dass er von meinem
Problem erfährt. Es würde nur in der ganzen Stadt herumgeschwatzt werden. Haben
sie dich befragt?«
    Â»Ja, aber ich habe ihnen nur von der Drohung des Suduk erzählt.«
    Â»Und von Jürgen Simms?«
    Â»Sie haben mich nach ihm gefragt, also habe ich ihre Fragen
beantwortet. Er ist verdächtig, aber ich kann nicht glauben, dass er es war.«
    Â»Weil er ein Deutscher ist?«
    O nein, dachte Neele, jetzt sei du nicht auch noch eifersüchtig! Sie
antwortete ruhig und mit gleichmäßiger Stimme: »Nein, nicht deshalb, sondern
weil ich ihn schon mein ganzes Leben lang kenne, mit allen seinen Vorzügen und
seinen Fehlern. Er ist heftig, eigensinnig, grob und gewalttätig, ein Raufer,
aber kein hinterlistiger Heckenschütze. Nun, wie auch immer, es ist Aufgabe des
Richters, den Täter zu finden. Wir brauchen uns darüber keine Gedanken zu
machen. Du musst in erster Linie gesund werden, alles andere kümmert mich jetzt
nicht. Hast du Schmerzen?«
    Ameya wies auf das Messglas auf dem Nachttisch, mit dem Dr. Anderlies die Opiumtinktur portionierte. »Ich habe meine Dosis bekommen. Wenn
ich still liege, habe ich überhaupt keine Schmerzen.«
    Â»Dann solltest du jetzt schlafen. Soll ich deinen Bruder rufen,
damit er bei dir bleibt?«
    Ameya nickte. »Ja. In meiner Lage ist es mir ganz recht, einen Mann
mit einem Gewehr neben meinem Bett zu haben. Wenn der Heckenschütze mich nicht
nur einschüchtern, sondern töten wollte, wird er vielleicht zurückkehren, um
sein Werk zu vollenden.«
    Neele fröstelte bei dem Gedanken, dass er recht haben mochte und

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