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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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unruhig
geschlafen, und mitten in der Nacht wurde sie endgültig geweckt – durch Unruhe
im Haus, Lärm und ein rötlich flackerndes Licht draußen. Alarmiert sprang sie
aus dem Bett, warf ihren Morgenmantel über und schlich zum Fenster. Ohne sich
blicken zu lassen, spähte sie seitlich durch den Vorhang hinaus. Ihr stockte
der Atem. Da draußen vor dem verschlossenen Gartentor drängten sich, angeführt
von einem sichtlich volltrunkenen Richard Hagedorn, ein Dutzend Burschen und
Männer aus dem Dorf, alle zu Pferd, mit Fackeln und Gewehren ausgerüstet. Neele
hörte den jungen Hagedorn schreien: »Neeleken, schöne Neeleken, lass den Pfefferfresser
sausen und komm heraus! Hier sind genug ehrbare weiße Männer, die alles haben,
um dich zufriedenzustellen!« Ein Chor von Obszönitäten
aus den Mündern der anderen folgte.
    Neele spürte, wie sie zu zittern begann und eine heftige Übelkeit
sie überkam. Was für Unmenschen, die eine hochschwangere Frau auf diese Weise
terrorisierten! Und sie hatte Richard Hagedorn einmal für einen netten, hilfsbereiten
Menschen gehalten! Aber da war er auch nicht betrunken gewesen. Jetzt war sein
hübsches Gesicht rot und aufgedunsen, seine Stimme heiser, und er hielt sich
nur mit Mühe im Sattel. Jede Geste, jede Bewegung verriet die mörderische Wut,
die in ihm kochte. Hatte Jürgen ihm so viel bedeutet, dass er über dessen
Verhaftung so außer sich geriet? Oder hatte der Untersuchungsrichter recht gehabt,
und er war ebenfalls heimlich in sie, Neele, verliebt?
    Einer der Kerle hob das Gewehr und feuerte einen Schuss in den
Nachthimmel ab. Aus dem Inneren des Hauses antwortete das Angstgeschrei heller
Stimmen. Die Kinder! Natürlich hatten das Gebrüll und das Fackellicht draußen
sie geweckt, und jetzt drängten sie sich wahrscheinlich wie verschreckte Mäuse
aneinander. Was für Helden waren das, die gegen verkrüppelte Kinder, eine
Schwangere und einen Schwerverwundeten antraten!
    Sie hatten aber ihre Meisterin gefunden. Neele hörte, wie unten die
Haustür aufgerissen wurde, und dann erschien Schwester Florinda im Garten. Sie
war eine kleine Frau, aber wie sie sich den Betrunkenen stellte, aufrecht und
mit in die Hüften gestützten Händen, erschien sie Neele bemerkenswert groß.
»Gesindel!«, rief sie mit weithin hallender Stimme.
»Schämt ihr euch nicht? Ihr nennt euch ehrbare weiße Männer und kommt mitten in
der Nacht wie eine Horde Räuber hierher, um kranke Kinder und eine schwangere
Frau zu erschrecken? Das nenne ich Heldenmut!«
    Â»Weg hier!«, grölte Richard. »Das alles
geht Sie nichts an, wir reden mit Neele Selmaker.«
    Â»Ihr redet mit mir, denn ich bin hier die Hausherrin. Und ich sage
euch, dass ihr jetzt auf der Stelle verschwindet und daheim euren Rausch
ausschlaft, denn dieses Haus steht unter dem Schutz des deutschen Konsuls, und
wenn ihr auch nur eine Blume im Garten zertrampelt, könnt ihr damit rechnen,
dass ihr euch vor ihm verantworten müsst. Und jetzt macht, dass ihr wegkommt!«
    Die scharfe Rede hatte einige der Männer ernüchtert. Sie waren noch
so weit klar im Kopf gewesen, dass sie verstanden hatten, was es für sie
bedeuten würde, sich mit dem Konsul anzulegen. »Kommt, lasst uns abhauen!«, rieten sie ihren Kumpanen. »Wir haben unseren Spaß
gehabt, aber jetzt ist es genug!«
    Richard jedoch wollte nichts davon hören. Er schimpfte und grölte
weiter und trieb sein Pferd an, mit einem Sprung über das Gartentor zu setzen.
Der Hengst spürte jedoch die Unsicherheit seines Reiters, und außerdem war der
Anlauf quer über die Straße viel zu kurz. Er setzte zum Sprung an, stolperte –
und schleuderte seinen Reiter über das hüfthohe Tor hinweg in den Garten, wo
dieser mit einem dumpfen Krach aufprallte und liegen blieb.
    Erschrocken hielten die anderen inne. Einer oder zwei stiegen ab,
stolperten zum Tor und blickten in den Garten, wo Schwester Florinda sich über
den Bewusstlosen beugte.
    Sie schritt zum Tor, öffnete es und winkte den Männern
hereinzukommen. »Los, nehmt euren Helden mit!«, befahl
sie. »Verschwindet mit ihm, dann verzichte ich darauf, eine Anzeige zu machen.
Andernfalls bleibt er hier und wird morgen früh der holländischen Polizei übergeben.«
    Der Unfall hatte den Männern jede Lust genommen, weiterhin die
Rabauken zu spielen.

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