Im Land der Mond-Orchidee
Mörder bezeichnet und auch Richard Hagedorn in
Verdacht gebracht.«
»Das habe ich nicht!«, protestierte Neele.
»Der Richter war längst überzeugt, dass er mit Jürgen den Täter im Auge hatte.
Er stellte mir eine Menge Fragen, die Jürgen in ein ungünstiges Licht stellten,
aber was hätte ich anderes tun sollen, als sie ehrlich zu beantworten? Ich bin
nicht der einzige Mensch hier, der Jürgen kennt. Auch andere hätten dem Richter
gesagt, dass er eifersüchtig und jähzornig ist â und dass er sich von seinem
Freund Richard leicht einen Pfeil und Bogen ausborgen könnte. Trotzdem glaube
ich nicht, dass er schuldig ist, und das habe ich auch den Beamten gesagt, aber
meine Meinung hat sie nicht interessiert. Wie kann man da mir die Schuld geben?«
»Sie betrachten dich als Verräterin, die sich mit einem
Einheimischen eingelassen hat. Und sie sind der Meinung, falls es Jürgen war,
der Ameya angeschossen hat, dann könnte ihm niemand daraus einen Vorwurf machen.«
Erbittert und gekränkt musste Neele mit anhören, dass man im
deutschen Dorf Jürgen allgemein für ihren rechtmäÃigen Partner hielt. Man
glaubte ihm seine Geschichten über ihre langjährige Beziehung, die nur durch
die Heirat mit Frieder kurz unterbrochen worden war. Jetzt war Frieder aus dem
Spiel, und der Geliebte aus Jugendtagen forderte die Frau, die ihm so gut wie
versprochen war. Wer konnte ihm da verübeln, dass er voll Zorn auf den Javaner
war, der sich an Neeles Seite gedrängt hatte? Wäre dieser nicht ein hoher
Beamter gewesen, sondern ein Bauer oder Plantagenarbeiter, so hätte man ihn in
aller Stille gelyncht und im Dschungel begraben, und die Sache wäre erledigt
gewesen.
»Du gehst besser eine Weile nicht ins Dorf«, warnte Lennert. »Ich
will nicht, dass dir irgendetwas Unerfreuliches widerfährt.«
»Ich habe ohnehin keine Lust, mich noch länger mit diesem Pack
abzugeben.« Neeles Stimme klang trotzig, aber sie war
müde, todmüde. Jetzt, wo Ameya so schwer verwundet war, würden sie noch lange
warten müssen, ehe sie reisen konnten, ganz abgesehen davon, dass sie nicht
hochschwanger an Bord eines Schiffes gehen wollte. Sie mussten hierbleiben und
den Hass ertragen, der ihnen von allen Seiten entgegenschlug. Sie brauchte nur
an das wütende Geschrei von Ameyas Schwester und die feindseligen Blicke seines
Bruders zu denken. Nie würde diese Familie sie als eine der Ihren akzeptieren,
und niemals würde die europäische Gemeinschaft Ameya das Recht zugestehen, ihr
Gatte zu sein.
Wieder war es Phöbus Bessemer, der sich bemühte, Frieden zu stiften.
Er wollte noch am Abend in das deutsche Dorf hinunterreiten und den Leuten
erklären, dass Jürgen keineswegs auf Neeles Anklage hin verhaftet worden war.
Vor allem aber wollte er ihnen deutlich machen, dass es für die deutsche
Gemeinschaft schwerwiegende Folgen haben würde, wenn sie auf den Gedanken
kämen, Neele zu attackieren; denn das würde sie alle, jeden Einzelnen von ihnen,
in den Verdacht bringen, an dem Mordanschlag beteiligt gewesen zu sein. Die
Holländer waren keine Freunde der Deutschen. Sie würden bei einer Untersuchung
scharf vorgehen und nicht zögern, jeden, der ihnen irgendwie verdächtig
erschien, auf unbestimmte Zeit einzusperren.
»Das sollte reichen, um sie einzuschüchtern«, sagte er. »Aber ich
gebe Dr. Anderlies recht: Sie, Frau Selmaker, sollten den Leuten eine Weile aus
dem Wege gehen. Sie werden in den nächsten Tagen ja ohnehin hierbleiben wollen,
um sich um Ameya zu kümmern, bis er transportfähig ist und seine Familie ihn
mitnehmen kann.«
Neele seufzte bei dem Gedanken, dass ihre gemeinsame Zeit nur kurz
bemessen sein würde. Sie machte sich keine Illusionen darüber, dass seine
Familie ihn streng von ihr abschotten würde, sobald er einmal in sein Vaterhaus
zurückgekehrt war. Vermutlich würden sie die Zeit seiner Schwäche nutzen, ihm
die unpassende Verbindung auszureden. Sie hatte keine Angst, dass er solchen
Ãberredungsversuchen nachgeben würde. Sie vertraute ihm völlig. Aber es würde
nicht leicht für ihn sein, sich zwischen seiner Familie und seiner zukünftigen
Frau entscheiden zu müssen.
Mit einer matten Bewegung stand sie auf. »Ich werde mich an eure
Ratschläge halten«, sagte sie. »Und jetzt möchte ich allein sein.«
3
S ie hatte
Weitere Kostenlose Bücher