Im Land der Mond-Orchidee
Sie hoben Richard auf. Einer von ihnen setzte ihn vor sich
auf sein Pferd, wo er wie eine Lumpenpuppe im Sattel hing, dann zogen sie im
Schritttempo schweigend davon. Richards reiterloses Pferd trottete hinterdrein.
Neele lieà sich auf einen Stuhl sinken und würgte ihre Ãbelkeit
hinunter. Sie musste ein paar Minuten warten, ehe sie wieder ruhig atmen
konnte. Dann stand sie auf, zündete ihre Petroleumlampe an und eilte zu Ameyas
Zimmer hinunter, um zu sehen, wie er die Attacke überstanden hatte.
Ein scharfes: »Wer ist da?« empfing sie,
als sie die Tür öffnete. Im Licht der Lampe sah sie Ameyas Bruder neben dem
geöffneten Fenster stehen, das Gewehr im Anschlag.
»Ich bin es, Neele. Die Männer sind fort, und ich glaube, sie kommen
nicht wieder.« Sie sah erleichtert, wie er das Gewehr
sinken lieà und auf seinen Platz zurückkehrte. Nicht auszudenken, was passiert
wäre, wenn er auf die Rowdys geschossen hätte! Wäre einer der Ihren verwundet
oder gar getötet worden, so hätten sie in ihrer trunkenen Wut zweifellos das
Haus gestürmt.
Sie beugte sich über Ameya und sah, dass er wohlversorgt mit einer
Dosis Opium den nächtlichen Schrecken ruhig verschlafen hatte. Gott seiâs
gedankt! In seinem Zustand bedeutete jede Aufregung eine ernste Gefahr.
Da wurde die Tür ein weiteres Mal geöffnet, eine zweite Lampe
leuchtete auf, und Lennert trat ein, halb angezogen in Hosen, Hemd und
Hosenträgern. »Da bist du, Neele!«, rief er
erleichtert aus. »Ich habe dich in deinem Zimmer nicht gefunden und habe mir
schon die gröÃten Sorgen gemacht, was dir zugestoÃen sein könnte ⦠Diese
widerlichen Idioten! Geht es dir gut?«
Sie lieà sich auf den nächsten Stuhl sinken. Mit einem schwachen
Lächeln sagte sie: »Meine Knie zittern, und mir ist übel, aber weiter ist mir
nichts passiert. Und Ameya hat überhaupt nicht mitbekommen, was passiert ist,
er schläft wie ein Siebenschläfer.«
»Umso besser für ihn.« Lennert trat näher, und jetzt erst sah Neele
im gelben Licht der Petroleumlampe, wie verkrampft sein Gesicht war. Der
nächtliche Zwischenfall musste ihn zutiefst verstört haben. Mit gepresster Stimme
sagte er: »Anfangs habe ich gedacht, Richard sei ein netter Kerl, aber wie ich
sehe, habe ich mich schwer getäuscht. Was für eine Niedertracht! Ich würde mich
nicht mehr wundern, wenn sich herausstellte, dass er der Heckenschütze war. Wer
auf Schwangere und Kranke losgeht, ist auch zu einem heimtückischen
Mordanschlag fähig. Ich jedenfalls will mit ihm nichts mehr zu tun haben, und
wenn Jürgen sich weiterhin an ihn hängt, dann ist er ebenfalls für mich
gestorben.«
Er trat an Neele heran und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Komm, ich begleite dich zurück in dein Zimmer, und dann bleibe ich noch eine
Weile bei Ameya, schlafen kann ich jetzt ohnehin nicht mehr.«
4
I n den nächsten
Tagen fühlte Neele sich elend. Jede Bewegung wurde ihr zur Mühsal. Sie
versuchte zwar, gegenüber den Klosterfrauen zu scherzen, sie fühle sich wie der
Wolf mit den Wackersteinen im Bauch, aber im Grunde war ihr alles andere als
lustig zumute. Das Kreuz tat ihr weh, ihre FüÃe und Beine waren geschwollen,
und es machte sie nervös, dass sie in ihren Bewegungen so beschränkt war.
Bücken konnte sie sich kaum mehr, und wenn sie etwas trug, musste sie die Arme
vor sich ausstrecken. Dazu kam das üble Wetter der Kenteringstyden, das
Kopfschmerzen und Kreislaufbeschwerden mit sich brachte. Doch hatte sie
immerhin den Trost, dass Ameyas Befinden sich stetig besserte. Fieber und
Entzündung blieben aus, die Wunde heilte langsam, aber ohne Komplikationen. Er
war nur noch sehr schwach von dem starken Blutverlust. Schwester Florinda
versorgte ihn, und Neele leistete ihm Gesellschaft. Wenigstens konnte sie jetzt
allein mit ihm sein, denn seine beiden Brüder bestanden nicht mehr darauf, sie
zu überwachen â als wäre sie es gewesen, von der er etwas zu befürchten hatte!
Er lag still in dem Bett des provisorischen Krankenzimmers, das
Laken bis zum Hals hochgezogen, um nicht von einem unvermutet Eintretenden
überrascht zu werden. Neele setzte sich an den Bettrand und beugte sich zu ihm,
was ihr inzwischen nicht mehr leichtfiel, so hoch war ihr Leib schon. Sie
ergriff seine Hand. »Wie geht es dir?«
»Gut und schlecht«, antwortete
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