Im Land der Mond-Orchidee
ein bisschen
Vernunft haben, gibt es noch einen Ausweg. Ich weiÃ, dass keine Mutter ihr Kind
gerne aufgibt, auch wenn sie arm ist und das Kind ihr mehr Sorgen als Freude
macht, aber es scheint mir der beste Ausweg für Sie beide zu sein. Ich könnte
es auf der Stelle mitnehmen und ins Mutterhaus unseres Ordens bringen. Dort
geben wir es einfach als ein einheimisches Kind aus, dessen Eltern unbekannt
sind. Wir haben mehrere von der Art. Wir haben gute Ammen in unserem Dienst,
die sie stillen und versorgen, und später werden wir es erziehen und unterrichten.«
Neele fragte mit einem Seufzer, was sie denn allen anderen sagen
solle. Alle Welt wisse, dass sie schwanger gewesen sei, irgendwie musste sie
das Verschwinden des Kindes ja erklären. Aber auch darauf hatte Schwester
Florinda eine Antwort. »Sie könnten einfach sagen, dass Sie keine Milch haben
und es zu einer Amme gegeben haben. Später wird uns dann schon irgendetwas einfallen,
falls es überhaupt noch notwendig sein wird, irgendjemand irgendetwas zu
erklären. Jetzt bekommt niemand eine Auskunft von uns. Wären Sie damit einverstanden?
Wenn nicht, dann müssen Sie sich selbst etwas einfallen lassen, ein zweites Mal
frage ich nämlich nicht.«
Ihre Stimme klang so schroff, dass Neele auch unter anderen
Umständen nicht gewagt hätte, ihren Vorschlag abzulehnen, und es war ja auch
tatsächlich das Einzige, was sie tun konnte. Sie mochte gar nicht daran denken,
mit welchem Spott und Hohn die deutsche Gemeinschaft sie überschütten würde,
wäre sie in ihrer Mitte mit einem kakaobraunen Kind aufgetaucht. Noch
schlimmer, sie hätte Lennert und Paula hineingezogen, die ja die ganze Zeit
bestätigt hatten, dass das Kind von ihrem treulosen Gatten abstammte. Mussten
sie nicht als Komplizen einer frechen Lüge erscheinen?
Sie stimmte also zu, und keine Viertelstunde später war Schwester
Florinda mit dem Neugeborenen unterwegs.
DrauÃen hielt ein Gefährt, Lennerts Einspänner, nach dem leichten
Rollen der Räder zu schlieÃen, und gleich darauf kam der junge Arzt laut
pfeifend die Treppe herauf. Neele rief mit schwacher Stimme nach ihm.
Er sah sofort, dass sie geboren hatte. Vergnügt rief er: »Na, da
hast du es ja schon allein geschafft und brauchst mich gar nicht mehr! Aber wo
ist der kleine Balg? Ich höre gar nichts.«
Neele brach in Tränen aus. Völlig verstört berichtete sie ihm, was
passiert war und wie sie sich nicht erklären konnte, wie dieses Kind in ihren
Leib gekommen war. »Ich weià nicht, wie das geschehen konnte«, wiederholte sie
ein ums andere Mal.
Lennert setzte sich an den Bettrand und ergriff ihre Hände. »Neele,
nimm es mir nicht übel, wenn ich dir die Wahrheit ins Gesicht sage. In
Norderbrake hatten von Anfang an alle ihre Zweifel, ob du Heiners Kind warst, obwohl
er dich geliebt hat wie ein Vater, das muss man durchaus sagen. Wenn dein
leiblicher Vater dunkelhäutig war, so kann es auch dein Kind sein, obwohl du
selber nur mit einem blonden Mann zusammen warst. Vielleicht hatte deine Mutter
in Bremerhaven jemand kennengelernt â¦Â«
Neele krampfte die Hände zusammen. »Willst du sagen, sie war eine
Hure, die sich mit den fremden Seeleuten eingelassen hat?«
»Ich sage nichts über niemand. Ich habe sie nicht gekannt und bin
kein Zeuge für oder gegen sie. Ich bin nur ein Arzt, und als solcher kann ich dir
erklären, wie dein Kind zu seiner dunklen Farbe gekommen ist. Das ist eine
wissenschaftliche Tatsache. Aber ich fürchte, die deutsche Gemeinschaft hier
wird es anders ansehen, vor allem diejenigen, die dir ohnehin schon gerne etwas
am Zeug flicken wollen.«
Als Neele ihm erzählte, welchen Ausweg Schwester Florinda angeboten
hatte, nickte er zustimmend. »Eine ausgezeichnete Idee. Das Kind ist in guten
Händen, du hast vorderhand keinen Ãrger, und das Gerede wird bald aufhören.«
Neele seufzte. Eine plötzliche Welle der Bitterkeit brach über sie
herein. Warum musste sie das alles durchmachen? Hätte sie nicht wenigstens ein
blondes deutsches Kind zur Welt bringen können, das man hier mit offenen Armen
aufgenommen hätte? Und das hätte sie auch behalten können, anstatt sich mit
einer solchen Menge Lügen herauszureden. Und wenn die Wahrheit dennoch ans
Licht kam? Sie war vollkommen unschuldig, sie konnte ihr Schicksal kaum
begreifen, und trotzdem würden alle über
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