Im Land der Mond-Orchidee
eingetragen sind, und damit ist Ihnen der Zugang zur weiÃen
Gesellschaft verschlossen.«
Neele zuckte die Achseln. Sie kannte von der weiÃen Gesellschaft
Javas nur das deutsche Dorf, in dem man sie ohnehin nicht mehr mochte, und
hatte keinerlei Ehrgeiz, an Bällen oder anderen Veranstaltungen teilzunehmen.
Familienbande
1
E in paar Tage
später hatte der Amtmann Neuigkeiten für sie. Die beiden alten Damen waren
verständlicherweise zutiefst aufgewühlt gewesen, als er ihnen die Nachricht
brachte. Einerseits hatten sie sehr darunter gelitten, dass ihr Bruder keine
Familie hinterlassen hatte; sie hatten sogar ein junges Mädchen, das in der
Apotheke arbeitete, gleichsam an Kindes statt angenommen. Andererseits hatten
sie mit sprachlosem Entsetzen darauf reagiert, dass ihre einzige lebende
Verwandte eine Deutsche war. Dr. Bessemer hatte seinen ganzen Charme und sein
diplomatisches Geschick anwenden müssen, damit sie einen Besuch gestatteten,
aber zuletzt hatten sie es getan.
»Sie müssen Bethari mitnehmen, unbedingt!«,
sagte er. »Erstens gehört sie genauso zur Verwandtschaft wie Sie, und zweitens ⦠nun, alte Damen können sehr hartherzig sein, aber einem Baby können sie nur
selten widerstehen.«
Sowohl Dr. Bessemer wie auch Ameya begleiteten sie, als sie sich,
Bethari im Arm, auf den Weg zu ihrem ersten Besuch bei den neuen Verwandten
machte. Die Kutsche rollte eine gepflegte VorstadtstraÃe entlang, an der sich
eine kleine Villa an die andere reihte, die meisten in einem Stil, der halb
javanisch, halb europäisch war. Viele waren überladen mit vergoldeten
Holzschnitzereien â der typische Stil reicher Javaner. Dann hielt sie vor einem
gusseisernen Tor an. Ein weià gekleideter Diener, der offenbar die StraÃe im
Auge behalten hatte, kam heraus, öffnete das Tor und führte die Besucher einen
beidseitig von violett blühenden Büschen gesäumten Gartenweg entlang. Es war
ein sehr hübscher Garten, dessen auffälligstes Merkmal eine groÃe überdachte
Voliere war, voll mit bunten, schrill singenden Vögeln. Das Haus war blassgrün
und fliederfarben getüncht und hatte zwei lange überdachte Veranden, deren Eckgiebel
wie groteske Schnäbel über die Balustrade ragten.
Im Erdgeschoss befand sich die Apotheke, kenntlich an den
goldbeschrifteten Glasscheiben. Man erreichte sie â da auch dieses Haus auf
hüfthohen Pfeilern stand â über eine breite Treppe. Die Wohnräume lagen einen
Stock höher.
Neele klopfte das Herz im Hals, als sie Dr. Bessemer und Ameya in
eine Diele und dann über eine Treppe aus poliertem schwarzem Holz in den Salon
folgte. Der war ausgesprochen elegant, dabei aber recht gemütlich eingerichtet
mit einer üppigen Sitzgarnitur und einer Anzahl kleiner Tische und Truhen, die
im Raum verstreut standen. Die Wände waren honigfarben tapeziert. Ein starker
würzig-süÃer Geruch hing in der stillen Luft, der vielleicht aus der Apotheke
unten heraufstieg â oder war es der Duft der vielen fremdartigen Blumen im
Garten?
Auf dem Sofa saÃen dicht nebeneinander zwei alte Damen, die einander
sehr ähnlich sahen, obwohl die eine ein Stück älter als die andere war. Trotz
der grauen Strähnen im schwarzen Haar und der Runzeln um die Augen machten sie einen lebendigen, ja, attraktiven Eindruck, was durch ihre
gewählte Kleidung noch unterstrichen wurde. Ihre Sarongs und die langen Jacken
waren aus schwarzer Seide, mit schwarzem Jett bestickt. Ihre Haarknoten waren
mit feinen Schleiern drapiert, die das Gesicht frei lieÃen, hinten aber weit
auf die Schultern fielen.
Noch eine dritte Person war im Raum â ein junges und sehr schönes
Mädchen, das mürrisch dreinsah; vermutlich die Adoptivtochter. Dieses Mädchen
machte bei Neeles Eintreten eine sichtlich gehässige Bemerkung, für die sie von
einer der Hausherrinnen scharf zurechtgewiesen wurde.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Neele.
Ameya blickte verlegen beiseite. »Das ist nicht wichtig. Sie war
unhöflich und hat eine Zurechtweisung dafür empfangen.«
Neele beharrte jedoch darauf, sie wolle es wissen, und so sagte er mit einem
unbehaglichen Achselzucken: »Sie behauptete, du hättest groÃe FüÃe und eine
Haut wie ein toter Fisch.«
Natürlich merkte das Mädchen, dass die Besucherin eine Ãbersetzung
ihrer Bemerkung erhalten hatte, und sie freute
Weitere Kostenlose Bücher