Im Land der Mond-Orchidee
erwartet. Sie atmete tief durch,
erleichtert, dass ihr Ehemann das unerfreuliche letzte Gespräch mit seinen
Verwandten hinter sich hatte. Vielleicht war es sogar am besten so. Er konnte
gehen, ohne dass ihn das Heimweh und die Sehnsucht nach seiner Familie an das
Land ketteten, das er verlassen wollte.
Dritter Teil
Freunde und Feinde
Vögel, die am Morgen singen
1
A ls die beiden
frisch gebackenen Eheleute nach einer langen Nacht voll unstillbarer Sehnsucht
nach Zärtlichkeit zum Frühstück hinunterkamen, fanden sie Dr. Bessemer bereits
reisefertig vor. Er teilte ihnen mit, dass er sie den Tag über und vielleicht
auch die darauffolgende Nacht allein lassen würde, da er sich nicht nur um
Neeles geringen Besitz kümmern, sondern auch noch allerlei anderes erledigen
wollte. »Aber«, fügte er schmunzelnd hinzu, »ihr werdet euch schon zu
beschäftigen wissen, auch ohne mich! Die Haushälterin meines Freundes wird euch
das Essen zubereiten, ihr braucht also weiter nichts zu tun, als es euch
richtig gut gehen zu lassen.« Damit nickte er ihnen
zu, hob die Hand zum Gruà und ging hinaus zu seinem Schimmel, der bereits
ungeduldig wiehernd wartete.
Das junge Paar sah ihm eine Weile nach, dann kehrten sie zurück ins
Haus und machten sich über das Frühstück her, das bereits dampfend auf dem
Tisch stand. DrauÃen stieg die Sonne allmählich über die Baumwipfel und
verwandelte die kühle, graugrüne Stille des frühen Morgens in eine
golddurchwirkte, von musikalischem Lärm erfüllte Landschaft. Neele erinnerte
sich, wie Dr. Bessemer ihnen während der Reise auf dem Meer erzählt hatte, ihm
sei mitunter schier der Schädel geplatzt vom ständigen Gesang der Vögel, und
sie fand auch, dass die zahllosen gefiederten Bewohner des Dschungels manchmal
des Guten zu viel taten, aber wie melodisch war doch ihr Gesang! Sie lauschte,
während sie unter den würzig duftenden Bissen wählte, die die Köchin ihnen
aufgetischt hatte und die alle auf Bananenblättern in flachen hölzernen
Schüsseln angerichtet waren. Hin und wieder hob sie den Kopf und lächelte Ameya
selig an, und er erwiderte ihr Lächeln voll stiller Hingabe. Nie in ihrem Leben
war sie so glücklich gewesen. Spott zuckte in ihren Mundwinkeln, als sie daran
dachte, wie die stets pessimistische Tante Käthe sie für dieses Glücklichsein
gemaÃregelt hätte. Die alte Dame hätte gewiss gesagt: »Vögel, die am Morgen
singen, holt am Abend die Katze« oder etwas ähnlich Erbauliches.
Eingeschüchtert von ihrem griesgrämigen Gott, war sie überzeugt gewesen, schon
ein frohes Lachen könnte seinen Unmut hervorrufen. Nun, Tante Käthe hatte in
ihrem Leben nichts mehr zu reden. In Zukunft würde sie in aller Morgenfrühe singen,
so laut es ihr beliebte, und keine Katze mehr fürchten.
Nach dem langen, behaglichen Frühstück machten sie einen Spaziergang
rund um die Lichtung, auf der das Jagdhaus stand, und folgten dann einem Pfad
in den Wald. Es war dumpf und warm unter den die Sonne verdunkelnden Bäumen.
Ein reges, wenn auch nur halb sichtbares Leben herrschte überall. Käfer und
groÃe, gefährlich bissige Ameisen huschten über das abgefallene Laub, Geckos
und Eichhörnchen flitzten die schrundigen Stämme empor und verschwanden in den
alles beschirmenden Kronen. Zuweilen machte sich ein gröÃeres Tier bemerkbar,
ein Grunzen ertönte, oder ein Schatten huschte in der Ferne zwischen den
Stämmen vorbei, aber die Tiere hier fernab der Stadt waren scheu und gingen dem
Menschen weit aus dem Wege. Neele empfand eine leise Bangigkeit bei dem
Gedanken, dass es in diesen dampfenden Wäldern auÃer harmlosen Bewohnern wie
Tapiren und Gürteltieren auch Tiger gab. Sie wünschte, Ameya hätte seinen
Revolver mitgenommen. Dann jedoch schalt sie sich für ihre Ãngstlichkeit. Wenn
er sich nicht fürchtete, warum sollte sie es dann tun? Er wusste gewiss viel
besser als sie, wann Gefahr zu fürchten war und wann nicht.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er mit einem Lächeln:
»WeiÃt du, was die Holzsammler und Orchideenpflücker tun, wenn ihnen ein Tiger
begegnet? Sie stellen sich Rücken an Rücken, wenn sie zu zweit sind, oder mit
dem Rücken an einen dicken Baum, wenn sie alleine sind, und wenden ihm das
Gesicht zu. Ein Tiger greift einen Menschen nämlich nie von
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