Im Land der Mond-Orchidee
Angesicht zu
Angesicht an. So groà und gefährlich er ist, so feige ist er. Er springt immer
von hinten auf seine Beute los.«
Neele blickte sich unwillkürlich um, und er lachte. »Nein, hab keine
Angst. Die groÃen Raubkatzen schlafen bei Tag und jagen erst in der Dämmerung.
Das Einzige, was jetzt jagt, sind die kleinen â au!«
Er klatschte mit der flachen Hand auf seine Wange. »Stechmücken und Bremsen,
wollte ich eben sagen, da haben sie mich auch schon erwischt. Hier, nimm das.« Dabei bückte er sich, riss eine Handvoll von einem
rötlich blühenden Kraut aus und zerrieb sie zwischen den Handflächen. Ein
angenehmer, aber ziemlich stechender Geruch wie von einem starken Alkohol stieg
davon auf. »Das hält die Moskitos und das andere blutsaugende Gesindel fern.«
Sie schlenderten, jetzt tatsächlich nicht mehr von Moskitos
belästigt, eine halbe Stunde lang durch den Wald, immer dem Pfad folgend, der
zu irgendeinem Kampong führen mochte, und gelangten schlieÃlich zu einem Teich,
von dessen Oberfläche dichter Dampf aufstieg. Ameya eilte hin, streckte
vorsichtig die Hand ins Wasser, um seine Temperatur zu prüfen, und blickte
Neele dann mit einem schelmischen Ausdruck in den dunklen Augen an. »Es ist
gerade richtig warm. Wollen wir baden?« Und schon fing
er an, sein buntes Hemd und den Sarong, den er an diesem Morgen trug â das
luftige Kleidungsstück war bei Männern und Frauen gleichermaÃen beliebt â,
auszuziehen.
»Hier?!« Selbst im Dorfteich von Norderbrake hatte Neele nur als
Kind baden dürfen, und auch da hatte »baden« bedeutet, dass man Knöpfstiefel
und Strümpfe auszog und bis zu den Knien in dem mit Blutegeln verseuchten
Wasser herumwatete. Der Gedanke, mitten in der Wildnis in einen Teich zu
steigen, erschien ihr geradezu lasterhaft. Aber bevor sie noch darüber
diskutieren konnte, war ihr Gatte bereits splitternackt ins Wasser gesprungen
und breitete genieÃerisch Arme und Beine in der warmen Flut aus. Also tat sie
es ihm gleich, schlüpfte aus ihren Kleidern und tauchte rasch so weit wie
möglich unter. Wenigstens verbarg das sumpfig schillernde Wasser alles, was
sich unter der Oberfläche befand, nur ihre weiÃen Schultern â ein scharfer
Kontrast zu ihrem sonnengebräunten Gesicht â leuchteten hervor. Die Schatten
der Banyanbäume am Ufer verdunkelten den Teich, und ihre abgefallenen Blätter
schwammen zu Hunderten auf der Oberfläche.
Ameya drehte sich auf den Rücken und lockte sie mit einem
koboldhaften Lächeln an sich heran. Sie schwamm zu ihm hin, lieà sich von ihm
in die Arme nehmen. Ineinander verschlungen trieben sie in dem stillen
Gewässer, während ihre Lippen sich in einem langen Kuss trafen.
2
S chlieÃlich stiegen
sie wieder an Land, kleideten sich an und kehrten gemächlichen Schrittes zu der
Lichtung zurück. Es wurde langsam heiÃ, und sie freuten sich auf das kühle,
bunte Zwielicht ihres Schlafzimmers und eine Stunde der Ruhe vor dem Mittagessen.
Als sie aus dem Schatten der Bäume auf die Lichtung hinaustraten, wurde ihnen
erst bewusst, wie hoch die Sonne inzwischen gestiegen war. Die scharfe Hitze
schlug ihnen förmlich ins Gesicht. Der grelle Sonnenschein blendete ihre Augen.
Ameya blinzelte und beschirmte die Augen mit der Hand. Auch Neele kniff die
Augen zusammen. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnen können, welcher
Unterschied zwischen der blassen norddeutschen Sonne und dem glühenden Gestirn
bestand, das hier die Luft zum Glänzen und GleiÃen brachte.
Sie wandte sich Ameya zu, um etwas zu sagen. Im selben Augenblick
vernahm sie ein leises Zischen, ein schmaler Schatten huschte vor ihren Augen
vorbei, und Ameya stieà einen lauten, schmerzlichen Schrei aus, der sofort in
ein krampfhaftes Husten überging. Noch von der Sonne geblendet, sah sie nur
undeutlich, dass er stolperte, sich rücklings gegen einen Baumstamm lehnte und
dann in sich zusammensackte.
»Was ist dir?«, rief sie erschrocken, in
der Meinung, ihm sei von der Hitze übel geworden. Dann klärte sich ihr Blick,
und in fassungslosem Entsetzen sah sie, was das zischende Geräusch und den
vorüberfliegenden Schatten hervorgerufen hatte: Ein bunter Pfeil war es.
Diesmal hatte keine zufällige Geste seinen Flug abgelenkt, und er hatte sein
Ziel gefunden: Ameyas Herz. Der Verwundete lag auf der Seite, das
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