Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
Vom Netzwerk:
nichts essen, sie musste sich zwingen, dem sanften Drängen
ihrer Pflegerin folgend, ein paar Löffel hinunterzuwürgen. Aber sie hatte
andauernd Durst. Am liebsten hätte sie von morgens bis abends getrunken. Ihr Körper
schien in Flammen zu stehen und wurde gleich darauf wieder so kalt, dass ihr
trotz der Hitze der Trockenzeit die drei Decken nicht genügten, die man ihr
hingelegt hatte.
    Die Tage und Nächte verschwammen ineinander und wurden nur langsam
wieder zu getrennten Einheiten. Als das Fieber sank und die heftigen Kopf- und
Bauchschmerzen allmählich verebbten, kam Neele wieder zu vollem Bewusstsein,
aber sie war so schwach, dass sie sich nicht einmal aus eigener Kraft aufsetzen
konnte. Sie lutschte wie ein kleines Kind an den Bananenscheiben, mit denen man
sie jetzt fütterte. Nur langsam nahm sie ihre Umgebung wieder mit klaren Augen
wahr.
    Als die blau gekleidete Javanerin das nächste Mal kam, um sie zu
waschen und zu füttern, flüsterte sie heiser: »Ich habe Typhus gehabt, nicht wahr?«
    Die Frau nickte. »Typhus, ja, ja«, bestätigte sie. »Sehr krank, fast
tot. Aber jetzt wieder lebendig.« Sie lächelte, wobei sie spitz gefeilte, vom
Betelkauen gerötete Zähne zeigte, und Neele erwiderte das Lächeln mit einer
zittrigen Grimasse.
    Â»Wo bin ich hier?«, fragte sie.
    Â»Deutsche Kirche, Pastor Froebe. Guter Mensch. Frau Pastor auch
guter Mensch, füttert kranke Frau, sitzt bei Bett.«
    Neele dankte mit einem Kopfnicken für die Auskunft und wollte noch
etwas sagen, aber sie war derart schwach, dass ihr Kopf abrupt aufs Kissen sank
und sie wieder einschlief. Zwei oder drei Tage wechselte sie so zwischen
Schlafen und Wachen. Dann fühlte sie sich kräftig genug, sich immerhin auf den
Bettrand zu setzen und die Beine hinabhängen zu lassen. Zum Aufstehen reichten
ihre Kräfte allerdings noch nicht. Als sie es versuchte, wurde ihr schwindlig,
und sie fiel hintenüber aufs Bett. Langsam, langsam, mahnte sie sich selber.
Eins nach dem anderen.
    Sie sah, dass ihr Bündel auf einem Rohrstuhl neben dem Bett lag, und
griff hastig danach. Ihr Geld, war es noch da? Schon beim ersten Griff fühlte
sie das Knistern von Banknoten unter den Händen, und als sie das verknotete
Zierpolster öffnete, fand sie den ganzen dicken Packen Papiergeld so vor, wie
sie ihn hineingesteckt hatte. Und hinter dem Bündel lag, in ihr Halstuch
gewickelt, Ameyas Dolch. Die Leute von der deutschen Kirche waren entweder zu
höflich gewesen, um in den Sachen ihres Gastes zu kramen, oder sie hatten
schlichtweg kein Interesse daran. Neele atmete auf. Wenn die Pastorleute
wirklich so gute Menschen waren, wie die Dienerin behauptete, dann konnte sie
wieder Hoffnung schöpfen.
    In den Tagen der Krankheit musste sie, ohne bewusst daran zu denken,
einen Entschluss gefasst haben. Es stand ihr plötzlich ganz klar vor Augen,
dass sie das von den Räubern entwendetes Geld dazu nutzen würde, um nach
Deutschland zurückzukehren. Es gab jetzt nichts mehr, was sie in Java hielt,
und Australien lockte sie auch nicht länger. Sie würde das nächste Schiff zurück
nach Bremerhaven nehmen und in Norderbrake ein Leben führen, das ganz dem
Andenken an ihren ermordeten Mann gewidmet sein würde.
    Als es Zeit zum Mittagessen war, erschien statt der Javanerin die
weiße Frau – eine sonnenverbrannte Person mit einem blassbraunen Haardutt im
Nacken, den ein Netz zusammenhielt. Sie lächelte Neele an. »Nun«, fragte sie,
»wollen Sie heute schon versuchen, allein zu essen?«
    Neele versuchte, die Schüssel Reissuppe allein auszulöffeln, und
hatte Erfolg damit.
    Â»Sehr gut!«, lobte die Pastorin sie. »Ich
sehe, Sie sind fast wiederhergestellt, Frau Selmaker.«
    Neele hob den Kopf. »Sie kennen meinen Namen?«
    Â»Ihre Geschichte stand lang und breit in der Zeitung, und die
bekommen wir sogar hierher in unsere Einsamkeit, wenn auch nur einmal in der
Woche. Es tut mir so leid, was Ihnen zugestoßen ist. Ihrem Mann, meine ich.«
    Â»Ja.« Neele fühlte wieder diese Übelkeit erregende Leere im Innern.
Sie würde sich nie daran gewöhnen, dass Ameya nicht mehr da war. Sie wollte
auch nicht darüber sprechen, also lenkte sie rasch ab: »Und Sie sind …?«
    Â»Dorothea Froebe. Mein Mann, Gustav Froebe, ist hier der Pastor. Er
wird so bald wie möglich mit Ihnen sprechen wollen.«
    Das wollte Neele

Weitere Kostenlose Bücher