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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Bezug gefressen hatten. In der
Tiefe einer solchen Grube glitzerte etwas. Sie streckte vorsichtig die Hand
hinein und fühlte Münzen. Als sie die Faust zurückzog und öffnete, glänzten
Geldstücke darin, holländische Gulden und javanesische Rupien. Was einmal ein
Mäusenest gewesen war, war jetzt eine Schatzkammer.
    Durch den Nebel, der ihre Gedanken umhüllte, drang eine klare
Vorstellung. Sie würde Geld brauchen, um zu überleben, und hier war Geld, sie
brauchte es nur einzustecken. Sie nahm jedoch außer einer Handvoll Gulden und
Rupien für kleine Einkäufe nur die Banknoten, die eine ganz beträchtliche Summe
ausmachten, denn das Papiergeld war leicht und unauffällig zu transportieren.
Sie zog die schmutzige Hülle eines Zierkissens ab, das auf dem Bett der Amme
gelegen hatte, füllte ihren Schatz hinein und knotete es zu. Dabei fiel ihr
Blick auf die Kleidertruhe neben dem Bett. Und tatsächlich, ihr Inhalt war so
unberührt geblieben wie die Ausstattung des Zimmers. Bunt schillernde Sarongs
und Blusen lagen darin. Neele zog sich in aller Eile um. Nur ihre Strümpfe und
Knöpfstiefel ließ sie an, denn in der Wildnis barfuß zu gehen, wagte sie nicht:
Überall auf dem Waldboden rannten rote Feuerameisen und bissige Käfer herum,
und auf der heißen, trockenen Erde der Pfade lauerten Schlangen und Skorpione.
Die Kleider strömten einen unangenehmen Schimmelgeruch aus, nachdem weit mehr
als eine Regenzeit über sie hinweggegangen war, aber das würde sich wohl an der
frischen Luft verlieren. Und kümmerte sie das wirklich? Ihre eigenen Kleider
rollte sie zu einem Bündel zusammen, um sie bei der ersten Gelegenheit im Wald
wegzuwerfen. Niemand, der Neele Selmaker suchte, sollte sie finden. Sie wollte
mit niemandem, den sie früher gekannt hatte, noch irgendetwas zu tun haben,
wollte nur noch allein sein.
    Mit raschen Schritten verließ sie das geheimnisvolle Haus und schlug
den Weg ein, der durch die verwilderte Plantage in Richtung Bucht führte.
Eigentlich wollte sie nicht zum Meer, sie schlug diese Richtung nur deswegen
ein, weil sie sich auf diese Weise immer weiter von Batavia und von der
deutschen Ansiedlung entfernte. Wenn sie das Meer erreicht hatte, was würde sie
dann tun? Hineingehen, bis seine Wellen ihr über dem Kopf zusammenschlugen und
sie ertränkten? Sie wusste es nicht. Ihr Dasein war ihr so gleichgültig
geworden, dass ihr jede Gelegenheit zum Sterben willkommen schien. Und doch
konnte sie sich nicht entschließen, sich das Leben zu nehmen. Sie fühlte sich
wie jemand, der erschöpft im Bett liegt und weiß, dass er den Schlaf nicht
herbeizwingen kann, dass er aber von selbst kommt, wenn man sich nur ruhig
seiner Müdigkeit überlässt.

3
    R ichard Hagedorns
feister Schimmel trabte gemächlich den schmalen Pfad entlang, der von den
Ruinen des Jagdhauses nordwärts führte. Seine Ohren zuckten, und immer wieder
wischte er mit dem Schweif die lästigen Bremsen weg. Der Reiter wurde ebenfalls
in einem fort gestochen, aber er registrierte es kaum. Seine Gedanken und
Gefühle waren mit anderen Dingen beschäftigt.
    Richard hatte zwei schlimme Tage hinter sich. Der Gedanke lastete
schwer auf ihm, dass er sich in seiner Erregung über die unerwartete Wende des
Geschehens eines Verbrechens schuldig gemacht hatte, das ihm die holländische
Polizei auf den Hals hetzen würde. Verfluchter Genever! Wäre er nicht so
betrunken gewesen, hätte er Jürgens Idee, den frisch Angetrauten zu folgen und
es Ameya heimzuzahlen, längst nicht so gut gefunden. Bis dahin hatte ihm noch
der Schrecken über die Folgen des misslungenen ersten Anschlags in den Knochen
gesessen. Aber dann hatte er sich betrunken, und als er auf dem Waterlooplein
Jürgen getroffen hatte, der Neele seit Tagen hinterherschnüffelte, hatte der
ihm erzählt, was er von einem Diener des Konsuls erfahren hatte: Die beiden würden
ihre Hochzeit in einem Landhaus weiter oben im Norden feiern. Jürgen war halb
verrückt gewesen vor Zorn, er hatte geweint und geflucht, und allmählich hatte
seine Stimmung Richard angesteckt …
    Jetzt saß er in der Falle. Ein Beamter ermordet, ein Haus abgebrannt,
und wie sollte er beweisen, dass nicht er derjenige gewesen war, der Jürgen
getötet hatte? Nur Neele hätte das bestätigen können, und Neele war ihm
entkommen.
    Nachdem er sie zwischen den

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