Im Land der Mond-Orchidee
in den Verruf bringen,
ein flüchtiger Mörder zu sein. Sie musste Dr. Bessemer unbedingt alles erklären,
ehe sie das Land verlieÃ.
Es wurde eine gemächliche Fahrt, denn der Geistliche schonte seine
Pferde, sobald die Sonne über den Horizont stieg und ihre Strahlen wie Pfeile
die dürre Erde trafen. Zu Mittag kehrten sie in einem Losmen ein, aÃen eine
kleine Mahlzeit und ruhten dann bis zum späten Nachmittag, als die Temperaturen
wieder erträglich waren. Neele sah, dass sie mindestens zwei Tage brauchen würden,
um die Stadt zu erreichen. Sie war ungeduldig. Jetzt, wo sie sich entschlossen
hatte, nach Deutschland zurückzukehren, konnte sie es nicht erwarten, an Bord
eines Ozeandampfers zu gehen und die Küsten Javas im Nebel verschwinden zu
sehen. Aber sie kannte das Land mit seinen Eigenheiten inzwischen gut genug, um
zu wissen, dass man in der Mittagsglut nicht reisen konnte, ohne sich einen
Sonnenstich zu holen und die Pferde zu ruinieren; also machte sie keine
Bemerkung über den unerwünschten Aufenthalt.
Sie fuhren, bis die Dämmerung herabsank und am Horizont die ersten
gelben Sterne aufstiegen. Pastor Froebe, der den Weg zur Stadt schon oft
gefahren war, hatte ihre Etappen so eingeteilt, dass sie zum Abendessen wieder
eine Herberge erreichten. Dort verbrachten sie die Nacht. Am nächsten Morgen
ging es weiter, und kurz bevor die Mittagshitze unerträglich wurde, trafen sie
auf dem Waterlooplein ein.
Der Diener geleitete sie in Dr. Bessemers Büro. Neele schnitt die
Erinnerung tief ins Herz, als sie daran dachte, wie viele Tage Ameya hier
verbracht hatte. Als sie an einem der hohen Spiegel auf dem Flur vorbeigingen,
erschrak sie über ihren eigenen Anblick: Ihr Gesicht war abgezehrt, mit wilden,
tief umschatteten Augen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Elsie Laudrun so
ausgesehen hatte, als man sie in die Anstalt gebracht hatte, denn sie, Neele,
bot den Anblick einer geistig Verwirrten. Der Typhus hatte ihr Gesicht
verwüstet, und die Schwäche, die der Krankheit folgte, hatte das Ihre getan.
Ihre Mundwinkel zuckten unkontrolliert, und die Augen glänzten wie im Fieber.
Sie erinnerte sich plötzlich daran, wie sie kurz vor der Abreise ihr Gesicht im
Schein eines Blitzes im Spiegel gesehen hatte. Genauso hatte es damals ausgesehen,
zum Erschrecken wild und wirr. Sie konnte nur hoffen, dass Dr. Bessemer das
Werk des Typhus erkennen und sie nicht für verrückt halten würde.
Die Meldung des Dieners hatte den Amtmann zutiefst betroffen. Er
wartete gar nicht, bis sie sein Büro betraten, sondern lief ihnen auf den Flur
hinaus entgegen und ergriff Neeles Hände. »Frau Selmaker, dass wir Sie wiedersehen!
Wir fürchteten schon, Sie seien tot. Wo waren Sie? Warum haben Sie sich bei
niemand gemeldet?« Dann wandte er seine Aufmerksamkeit
dem Pastor zu. »Und Sie, mein Herr, sind �«
»Pastor Froebe von der deutschen Kirche. Frau Selmaker war schwer
erkrankt, deshalb ⦠aber wir werden Ihnen gleich alles berichten.«
Dr. Bessemer, hochrot im Gesicht vor Erregung über das unerwartete
Wiedersehen, eilte ihnen voraus in sein Büro und stellte Eiswasser und Arrak
auf den Tisch. »Bitte, stärken Sie sich, man sieht Ihnen an, dass Sie eine
lange Fahrt hinter sich haben. Und dann erzählen Sie bitte.«
Neele atmete auf, als die ersten Schlucke Eiswasser durch ihre von
der Hitze ausgedörrte Kehle liefen. Mit noch etwas unsicherer Stimme begann sie
zu erzählen, was sich alles ereignet hatte, seit sie den Amtmann vor der Tür
des Jagdhauses verabschiedet hatten. Er lauschte mit intensiver Aufmerksamkeit.
Zuletzt fragte er: »Hagedorn war der zweite Angreifer, sagen Sie?«
»Ja. Ich weià nicht, wer von beiden den Pfeil abschoss, der Ameya
tötete, denn sie standen im Wald verborgen und kamen erst heraus, als sie ihn
tot auf dem Boden liegen sahen.« Sie griff nach dem
Gläschen Arrak, das der Amtmann ihr zuschob, und stürzte es in einem Zug hinunter.
Anders hätte sie nicht weitersprechen können. »Aber ich weiÃ, dass Richard
Hagedorn dabei war, obwohl er eine Maske trug, denn er rannte mir in den Wald
nach und schrie mir etwas zu, und ich erkannte seine Stimme.«
»Und Sie waren es, die Jürgen Simms getötet hat? Mit dem Kris Ihres
Gatten?«
»Ja.«
»Wo haben Sie gelernt, mit einem Kris umzugehen? Kein javanischer
Mann würde gestatten, dass
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