Im Land der Mond-Orchidee
versprach sie. Eine tiefe Müdigkeit überkam
sie. Misslang denn alles, was sie unternahm?
Freunde in der Not
1
N eele hatte
erwartet, dass die beiden Polizisten, die sie abholten, sie in eine Zelle
bringen würden, vielleicht sogar in eine der berüchtigten unterirdischen Zellen
des Stadthuis. Man führte sie jedoch durch ein Tor in einer Ziegelmauer in
einen von gemauerten Arkaden umgebenen Hof, in dem eine gute Hundertschaft
Frauen saÃ, auf offenen Feuern kochte, schwatzte, Streitgespräche führte oder
in schattigen Ecken schlief. Als man sie unter den Arkaden durchführte, sah sie
durch vergitterte Fensterlöcher in Säle, auf deren FuÃböden Reisstrohmatten
ausgelegt waren.
Die Polizisten lieÃen sie stehen, ohne sich weiter um sie zu
kümmern, und verlieÃen den Gefängnishof wieder.Neele lehnte den Rücken an eine
Mauer, lieà den Kopf hängen und benahm sich so unauffällig wie möglich. Sie
merkte dennoch, dass die anderen Frauen, die Sarongs und Blusen trugen, ihre
europäische Kleidung anstarrten und sich offensichtlich fragten, was die Trägerin
dieser Kleidung hier zu suchen hatte. WeiÃe wurden in der Regel getrennt von
den Einheimischen eingesperrt; es gab ein eigenes Gefängnis für Europäer. Kein
Wunder, dass ihr Erscheinen zu Gerede Anlass gab. Lebhaftes Getuschel auf Sundanesisch
ertönte von allen Seiten. Viele der Gefangenen hier waren der untersten Gesellschaftsschicht
zuzurechnen, halb verhungerte Bettlerinnen und Dirnen mit verwüsteten
Gesichtern und Körpern. Andere sahen besser aus, und Neele fragte sich, wer sie
wohl waren. Diebische Hausangestellte? Oder waren sogar welche unter ihnen, die
aus politischen Gründen hier in Haft saÃen? Und wie vielen hatte man, wie ihr,
einen Mord vorgeworfen?
Es dauerte nicht lange, da kamen drei Frauen auf sie zu und redeten
sie an. Als Neele ihnen mit Gesten zu verstehen gab, dass sie kein Sundanesisch
sprach, fingen sie an, ihre Kleidung zu durchsuchen. Wahrscheinlich waren sie
der Meinung, eine WeiÃe müsste Geld oder andere Wertsachen bei sich haben. Eine
drängte Neele gegen die Wand, während die andere in den Schürzentaschen stöberte
und versuchte, ihr die Schuhe und Strümpfe auszuziehen, um zu sehen, ob sie
etwas darin versteckt hatte. Erst ein scharfer Zuruf einer der Wärterinnen, die
mit Rohrstöcken bewaffnet den Hof patrouillierten, scheuchte die Quälgeister
fort.
Als der Abend sank, wurde Essen ausgeteilt, Reissuppe mit Gemüse und
für jede ein Stück Brot. Neele, die das Brot nicht hinunterbrachte, reichte es
ihrer Nachbarin. Nach dem Essen wurden die Frauen in die Schlafsäle getrieben,
und die Wärterin wies Neele eine der Reisstrohmatten zu. Sie war so müde und
verzweifelt, dass das harte Lager sie nicht störte. Erschöpft streckte sie sich
aus. Es gab kein Licht in dem Schlafsaal, nur drauÃen im Hof brannten zwei
Laternen, deren Widerschein mit rötlichem Glanz durch die Fensterlöcher fiel
und den trostlosen Raum mit einem matten Zwielicht erfüllte. Neele schlief auf
der Stelle ein.
Mitten in der Nacht erwachte sie von einer Berührung am Rücken. Aus
tiefem Schlaf aufgeschreckt, wusste sie erst nicht, wo sie überhaupt war. Nur
langsam erkannte sie, dass eine der Frauen sich im Dunkel an ihre Lagerstatt
herangeschlichen hatte und jetzt den Bauch an ihren Rücken presste. Eine Hand
schlüpfte über ihre Hüfte hinweg und tastete nach ihrer Brust. Der Berührung
folgte ein raues, lüsternes Stöhnen. Neele atmete die heiÃen Ausdünstungen
eines unsauberen Körpers ein.
Die junge Deutsche, in deren Erziehung von dergleichen Dingen nie
die Rede gewesen war, empfand erst nur Verblüffung. Dann begriff sie, und
heiÃer Zorn stieg in ihr auf. Niemand sollte den Körper berühren, den Ameya
liebkost hatte, weder Frau noch Mann! Sie fuhr herum, und ehe die andere
zurückweichen konnte, hatte sie ihr ins Gesicht gespuckt. Mit heiserer Stimme
keuchte sie: »Typhus!«
Die Frau fuhr mit einem erstickten Aufschrei zurück, schlug Neele
ins Gesicht und wälzte sich weg. Offenbar hatte sie den Namen der Krankheit
verstanden und den richtigen Schluss gezogen, als sie sich an Neeles jammervolles
Aussehen erinnerte. Jetzt hatte sie Angst, durch ihren Speichel selbst krank zu
werden. Unterdrückt fluchend, um von der Wärterin drauÃen im Hof nicht gehört
zu werden,
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