Im Land der Mond-Orchidee
Rücken
geworfen. Zwei der Männer zogen ihm die Stiefel von den FüÃen und die Hose aus,
dann stellten sie ihn auf die Beine und stieÃen ihn vor sich her in eine enge,
fensterlose Kammer. Immer noch gefesselt, wurde er zu Boden gestoÃen. Der
Aufprall auf dem splittrigen Dielenboden entlockte ihm neuerliche Schmerzensschreie.
Einer der Männer stellte die Laterne in einen Winkel. Ein anderer trat vor und
hob einen kleinen Ledersack ins Licht.
»Da, Dieb!«, sagte er mit einem breiten
Grinsen, das seine spitzen scharlachroten Zähne entblöÃte und ihn wie einen
leibhaftigen Teufel aussehen lieÃ. »Freunde für dich!«
Die Ãbrigen hatten sich zur Tür zurückgezogen. Nun folgte ihnen der
Mann mit dem Ledersack, und als er bereits halb durch die Tür war, warf er ihn
mit Schwung in die Kammer. Es klatschte dumpf, und gleichzeitig wurde die Tür
von auÃen geschlossen und verriegelt.
Richard starrte den Sack an. Er ahnte bereits, was geschehen würde,
noch ehe sich der erste daumengroÃe, platte Kopf hervorschob und erregt züngelte.
Ein Dutzend Schlangen kroch heraus, alle auÃer sich vor Zorn, nachdem man sie
zunächst gefangen, dann in einem Sack zusammengezwängt und dann auch noch
heftig zu Boden geschleudert hatte. Ihre starren Augen glitzerten im Laternenlicht.
Eine richtete sich auf und zeigte ihre Giftzähne.
Richard lag reglos. Er wusste, dass völlige Bewegungslosigkeit seine
einzige Chance war, sein Leben noch ein Weilchen zu verlängern, weil Schlangen
nur auf Erschütterung reagieren. Aber wie lange konnte er stillhalten? Schon
jetzt schmerzten seine gefesselten Hände, auf denen er lag, und er spürte
Krämpfe in den Waden und Zehen. Wie lange noch, bis er seine Stellung verändern
musste und damit die Brut auf sich aufmerksam machte?
Er wusste, dass er noch in dieser Nacht sterben würde. Und inmitten
seiner Schmerzen und seiner Todesangst war er sich der grausamen Ironie
bewusst, dass er mit all seinen Untaten davongekommen war und nun für etwas
bestraft wurde, woran er gänzlich unschuldig war.
4
F rüh am nächsten
Morgen wartete Neele darauf, dass der Pastor seinen Wagen anspannte. Sie hatte
gebadet und ihr Haar geflochten und trug eines der frisch gestärkten und
gebügelten Kleider der Frau Pastor, blaues Leinen mit weiÃer Schürze â die Frau
schien keine anderen Kleider zu besitzen als diese Diakonissenuniform. Noch
hing der Nebel in den Palmen rund um das bescheidene Gebäude der deutschen
Kirche, und die Sonne sandte erst einen schwach rosa Widerschein über den
Horizont. Die beiden Pferde, die den Landauer des Geistlichen zogen, schnaubten
und stampften ungeduldig und voller Vorfreude auf die Gelegenheit zu flotter
Bewegung. Die Pastorin kam mit einem Proviantpaket und zwei groÃen Wasserflaschen.
Sie umarmte Neele zum Abschied und wünschte ihr alles Gute.
Dann stiegen sie auf, der Pastor schnalzte mit den Zügeln, und der
Landauer rollte den holprigen Fahrweg zwischen weit überhängenden Bäumen
entlang. Die Girlanden der Orchideen streiften ihnen beinahe über den Kopf. Sie
hatten Glück, dass es Sommer war und der Weg daher trocken und fest, denn in
der Regenzeit verwandelte er sich, wie Froebe erzählte, in eine einzige
Schlammkuhle, die unmöglich zu befahren war. In der Regenzeit war die deutsche
Kirche überhaupt nur mit einem Boot erreichbar, das an der nahe gelegenen Küste
anlegte, und von dort musste man die Vorräte durch knöcheltiefen Schlamm zum
Haus schleppen. Er und seine Frau lebten schon fünfzehn Jahre so und waren es
zufrieden.
Neele hörte ihm zu, nickte und warf dann und wann ein Wort ein, aber
ihre Gedanken waren weit weg. Sie fragte sich, ob Richard Hagedorn seine Suche
aufgegeben hatte oder noch immer durch das spärlich besiedelte Gebiet hier im
Norden streifte, in der Hoffnung, irgendwann doch noch auf sie zu stoÃen. Was
er von ihr wollte, daran hatte sie keine Zweifel. Sie war eine höchst gefährliche
Zeugin. Ohne ihre Aussage blieb die Frage unbeantwortet, ob nicht Ameya Jürgen
getötet hatte und dann geflohen war. Zwar hatte der Zeitungsartikel berichtet,
dass Dr. Anderlies aufgrund der GröÃe des Blutflecks erklärt hatte, der zweite
Mann â Ameya â könne nicht mehr am Leben sein, aber würden die Richter das glauben?
Neele schauderte bei dem Gedanken, man könnte ihren Mann
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