Im Land der Mond-Orchidee
können.
Der Pfarrer beugte sich vor. Mit verschwörerisch gedämpfter Stimme
vertraute er seinem Gast an: »Wir alle denken, dass Frieder nicht gut getan hat
in dieser Zeit, denn umsonst verändert sich ein Mensch nicht so. Früher war er
zwar ein mürrischer Kerl, aber doch arbeitsam und anständig, und jetzt lässt er
alles schleifen, verkriecht sich im Moorhof und will mit keinem Menschen reden.
Aber vielleicht«, setzte er hoffnungsvoll hinzu, »wird es besser mit ihm,
jetzt, wo du wieder da bist. Vielleicht wird er wieder der alte Frieder.«
Sie schüttelte ernst den Kopf. »Nein, Herr Pfarrer. Was er sich
selber eingebrockt hat, soll er auch selber auslöffeln. Frieder hat mich allein
gelassen, als ich ihn am nötigsten gebraucht hätte. Er hat mich ganz bewusst
hineingelegt, hat mich allein und schwanger nach Java reisen lassen und â¦Â«
»Du warst schwanger?«, rief die
Pfarrersfrau. »Du mein Gott! Und was ist aus dem Kind geworden?«
»Es hat nicht lange gelebt. Für kleine Kinder sind die Tropen
mörderisch.« Von Nuris Untat zu erzählen brachte Neele
nicht übers Herz. Sie wollte ohnehin so wenig wie möglich von den Ereignissen
in Java nach Norderbrake tragen.
»Das arme Kind! Aber es war doch wenigstens getauft?«
»Ja, auf den Namen Elisabeth.«
Das beruhigte die beiden, und sie lieÃen das Thema fallen. Dafür kam
der Pfarrer wieder darauf zu sprechen, dass es Neeles Pflicht sei, zu ihrem
Gatten zu stehen. »Ich weiÃ, es war sehr unrecht von ihm, dich so zu betrügen,
aber wenn du eine Christin bist, verzeihst du ihm. Und dann kann es auch mit
ihm besser werden. Eine gute Frau kann einen Mann verändern.«
Neele entgegnete nichts darauf. Allein der Gedanke, dass Frieder
seine ehelichen Rechte einfordern mochte, erregte Ãbelkeit in ihr. Nicht einmal
anfassen sollte er sie! Ihren Körper hatte sie Ameya gegeben, in Liebe und
Vertrauen hatte er das Geschenk angenommen, und kein anderer Mann sollte sie
jemals wieder berühren. Schon gar nicht dieser Verräter, der sie erst
beiseitegeworfen hatte wie ein durchgelaufenes Paar Stiefel, sie aber jetzt, wo
ihre Arbeitskraft ihm nützlich sein konnte, wiederhaben wollte. Neele war aber
nur allzu klar, dass der Pfarrer dafür kein Verständnis haben würde. Also
redete sie sich darauf hinaus, dass es ein heftiger Schrecken für sie gewesen
sei, Frieder so unerwartet wiederzusehen, und dass sie ein paar Tage der Ruhe
und Sammlung brauche, um sich wieder auf das gewohnte Leben einzustellen.
Das wenigstens sahen die Pfarrersleute ein.
Neele verabschiedete sich und ging hinüber zum Dorfkrug, wo der
Knecht bereits ihre Koffer deponiert hatte. Sie wehrte all die neugierigen
Fragen damit ab, dass sie nach der langen Reise kaum noch die Augen offenhalten
könne und erst einmal ordentlich ausschlafen müsse, ehe sie alles erzählte. Das
gestand man ihr zu. Unbelästigt von weiteren Aufdringlichkeiten konnte sie ihr
Zimmer beziehen, und dort kleidete sie sich aus, wusch sich und fiel ins Bett,
obwohl die Sonne noch kaum den Horizont erreicht hatte. Der Kris lag, wie
üblich, unter ihrem Kopfkissen.
Es war kein Wunder, dass sie in der Nacht von einem wilden Traum
heimgesucht wurde. Sie befand sich wieder auf der Wiese vor dem Jagdhaus, Ameya
an ihrer Seite, und wieder schoss jemand auf ihn. Aber diesmal traf der Pfeil
nicht, sondern ging durch ihn hindurch, und sie sagte sich: Wie könnte es
anders sein, er ist ja tot und es ist nur sein Geist! Es war auch nicht Jürgen
oder Richard, der schreiend auf sie zustürzte, sondern Frieder. Er fiel Ameya
an, der aber wehrte geschickt seine Schläge ab und entzog sich mit
blitzschnellen Bewegungen seinen Würgegriffen. Sie kämpften um Neele, beide mit
gefletschten Zähnen und funkelnden Augen, beide entschlossen, den Gegner zu
töten. Und dann war Ameya nicht mehr der elegant gekleidete Wedono, sondern ein
schwarz-weià gefleckter Jaguar, der Frieder mit einem gewaltigen Satz ansprang
und ihm den Kopf vom Leib riss â¦
3
N eele erwachte sehr
früh am Morgen, als eben die ersten Moorbauern an die Arbeit gingen. Noch
aufgewühlt von dem wüsten, blutigen Traum, drängte es sie, einen langen
Spaziergang durch die vertraute Landschaft zu machen. Der Morgen erschien ihr
nach dem Dreivierteljahr in den Tropen sehr kühl, sodass sie einen von Paulas
Mänteln umlegte.
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