Im Land der Mond-Orchidee
Sie fand unter den Kleidern,
die Paula ihr geschenkt hatte, einen langen Schal, den band sie wie eine
Schärpe um die Mitte und versteckte den Kris in seinen Falten. Jetzt sollte er
nur versuchen, ihr nahezukommen!
2
W enn Frieder auf
ein gutes Leben gehofft hatte, jetzt, wo seine Frau wieder da war, so hatte er
sich getäuscht. Neele verlieà ihr Zimmer nur, wenn es unbedingt sein musste,
und wenn Frieder ihr beim Füttern der Tiere oder einer anderen Beschäftigung
über den Weg lief, warnten ihn ihre vor Zorn glühenden Augen und schmal zusammengepressten
Lippen, ihr zu nahe zu kommen. Er musste sich damit begnügen, dass sie
wenigstens für ihn einkaufte, wenn sie schon nicht kochte. Sogar Schnaps kaufte
sie für ihn, was ihn verwunderte â wusste er doch nicht, dass Neele hoffte, er
würde betrunken die Treppe hinunterfallen oder in ein Sumpfloch torkeln. Sie
kaufte nicht mehr in Norderbrake ein, sondern fuhr mit dem Gespann hinunter zum
Bahnhof, wo sich ebenfalls ein Krämerladen befand. Ãberhaupt lieà sie sich, wie
sie geschworen hatte, im Dorf nicht mehr sehen, und die Leute dort ärgerten
sich, weil sie nur zu gerne gewusst hätten, wie es auf dem Moorhof weiterging.
Frieder aber war noch schweigsamer und mürrischer als früher, und Neele
versteckte sich.
Ein einziges Mal versuchte er, seine ehelichen Rechte einzufordern,
und das hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Als er, vom Schnaps erhitzt,
ungeschickt nach ihr grapschte, fuhr sie herum, in der Hand einen flammenförmigen
Dolch, den sie â wie es ihm schien â aus der leeren Luft herbeigezaubert hatte,
und einen Ausdruck auf dem fahlen Gesicht, der ihn augenblicklich ernüchterte.
Eingeschüchtert von ihrer rasenden Wut und der blitzenden Waffe, brummte er ein
paar Flüche und tappte davon, um seinen Ãrger mit einer neuen Flasche Schnaps
abzukühlen. Von da an vermied er es sorgfältig, seiner Frau auf Griffweite nahe
zu kommen. Wie so viele Säufer neigte er zu Ãngsten und Wahnvorstellungen, und
es schien ihm jetzt oft, dass nicht seine unterwürfige Neele zurückgekehrt war,
sondern eine Teufelin, die ihm bei erster Gelegenheit ihren Stachel in den
Bauch stechen würde. Er war erleichtert, wenn er hörte, wie sie das grüne
Zimmer betrat und der Riegel knirschend in seine Halterung glitt. Sie hatte
Angst, er könnte hineinkommen, aber für ihn bedeutete es die beruhigende Gewissheit,
dass sie nicht so bald wieder herauskommen würde. Er wünschte jetzt, er hätte
sie weggeschickt, als sie so unvermutet wiederaufgetaucht war.
3
A n einem sonnigen
Morgen war Neele mit der Arbeit beschäftigt, das Kleinvieh zu füttern, als ein
Geräusch aus dem Tal sie aufhorchen lieÃ. Das Klappern von Pferdehufen war in
der morgendlichen Stille deutlich zu hören. Neele wischte sich die Hände ab und
eilte vors Tor, um zu sehen, was für unerwartete Gäste da kommen mochten. Noch
waren sie hinter der Kurve verborgen, aber das Geräusch war deutlich das von
mehreren Pferden, und es waren keine träge dahintrottenden Bauernpferde â ihr
Trab hatte einen nahezu militärischen Klang. Was suchten Soldaten um diese Zeit
in Norderbrake?
Da kamen sie in Sicht, und jetzt sah Neele, dass
es keine Soldaten waren, sondern drei berittene Polizisten, denen ein vierter
mit einem Einspänner folgte. Einen Augenblick lang spürte sie ein Würgen im
Hals. Es war doch nicht möglich, dass man sie in Deutschland verhaftete, um sie
nach Java zurückzubringen? Hatten die holländischen Behörden dort ihre Spur
gefunden und ihre Auslieferung beantragt? Am liebsten wäre sie geflüchtet, aber
die Männer hatten sie bereits gesehen, und ein Fluchtversuch wäre sinnlos
gewesen. So blieb sie stehen, mit zitternden Knien und einem Kloà im Hals, bis
der erste der Reiter das Tor des Moorhofs erreichte und sie anredete. Eine
gewaltige Erleichterung überkam sie, als er in barschem Ton fragte: »Wohnt
Frieder Selmaker in diesem Haus?«
Sie nickte stumm, zu erregt, um eine verständliche Antwort zu geben.
Die Polizisten waren nicht ihretwegen gekommen. Sie interessierten sich gar
nicht für sie. Neele holte tief Luft und rang sich die Antwort ab: »Er schläft
in seinem Zimmer im ersten Stock, links von der Diele.«
Der Anführer der Truppe deutete mit der Reitgerte in die Richtung,
die sie ihm angegeben hatte. Er und seine beiden
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