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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Magen.
    Â»He, sieh zu, dass du rauskommst, meinst du, das Loch da gehört dir
allein?« Eine Hand zerrte an ihren Kleidern, und eine
Frau drängte, würgend und röchelnd, an ihr vorbei. Neele beeilte sich, ihr
auszuweichen, und trat den Rückweg an.
    Ihr war jetzt nicht mehr so übel, aber Kopfweh hatte sie immer noch.
Sie kämpfte sich zurück zu ihrer Kabine und tastete sich auf ihr Bett.
Wenigstens hatte es wie alle Kojenbetten ein hohes Brett auf der Seite, auf der
man hineinstieg, sonst wäre sie ein ums andere Mal hinausgefallen, so heftig
bockte es unter ihr. Das gesamte Schiff war von Geräuschen erfüllt, wie sie sie
nie zuvor gehört hatte. Es schien ihr eine einzige riesige verstimmte Orgel zu
sein, die die unglaublichsten Tonfolgen von sich gab, von einem gequetschten
Wimmern bis zu einem Johlen, das sich über seine ganze Länge zu entfalten
schien, und zwischen allen diesen Tönen wiederholten sich die entsetzlichen
Rammstöße der Brecher, die die Meisje Mariaan breitseits
trafen. Neele hielt jedes Mal den Atem an, wenn eine Wasserwand gegen den
eisernen Rumpf krachte. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie die hölzernen
Segelschiffe früherer Zeiten jemals einen Sturm überstanden hatten, wenn ein
aus Eisenplatten genieteter Dampfer in solche Bedrängnis geriet.
    Sie versank in einen Dämmerzustand, in dem sie weder einschlafen
noch sich wach halten konnte. Hilflos hin und her gestoßen, rollte sie in ihrem
Kojenbett von einer Seite zur anderen und brachte kaum die Kraft auf, zu antworten,
wenn Paula voll Sorge nach ihr rief. Sie wusste nicht einmal, wie viel Zeit
vergangen war, bis das fürchterliche Stoßen und Schaukeln endlich ein Ende
nahm. Sie wachte erst auf, als Männer durch den Gang trampelten, die Bullaugen
geöffnet wurden und Licht und frische Luft hereinströmten.
    Benommen setzte sie sich auf und schwang die Beine über die
Bettkante. Das Knie, das sie sich bei dem Sturz im Finstern aufgeschlagen
hatte, war zerschrammt und heftig geschwollen, und ihr ganzer Körper schmerzte.
Ihr Kopf fühlte sich dumpf an, als waberten Nebelstreifen vor ihren Augen. Von
den Schultern bis zu den Knöcheln war sie ständig gegen die harte Holzwand oder
das Brett geworfen worden, sodass sie jetzt, als sie ihre Bluse herunterzog,
überall blaue Flecke sah. Das alles erschien ihr jedoch eine geringe
Beschwernis angesichts der Tatsache, dass der Sturm vorüber war und sie wieder
frische Luft atmen konnte. So schnell sie es mit ihren steifen Gliedern
zustande brachte, zog sie ihre Strickweste über und kletterte die Treppe zum
Deck hinauf.
    Oben standen bereits Dutzende der Auswanderer, die die gleichen
Leiden in dem finsteren, stickigen Gefängnis mitgemacht hatten. Viele Familien
hatten sich um ihre Ältesten geschart, lasen in der Bibel und beteten zum Dank,
dass sie den Sturm heil überstanden hatten.
    Als die beiden jungen Frauen aus der Öffnung traten, erschien es
ihnen unglaublich, dass sie eben erst ein solches Unwetter mitgemacht hatten.
Der Himmel war leuchtend klar, die Sonne strahlte, ohne stechend zu sein, ein
paar langschweifige weiße Wolken zogen in aller Unschuld durch das Blau. Der Meisje Mariaan freilich sah man an, dass sie zwei schwere
Tage durchgemacht hatte.
    Lennert hatte sich, sofort nachdem der Kapitän die Erlaubnis gegeben
hatte, sich wieder frei zu bewegen, auf die Suche nach seiner Schwester und
Neele gemacht und traf die beiden nun an Deck an. Er warf Neele einen Blick zu
und fragte: »Was ist denn mit dir, Neeleken? Du bist ganz rot und fleckig im
Gesicht.« Er trat einen Schritt näher. »Und du hast
Schweißperlen auf der Oberlippe.«
    Sie zuckte die Achseln. »Kein Wunder bei den zwei entsetzlichen
Tagen, die ich hinter mir habe. Ich bin furchtbar durstig, wahrscheinlich habe
ich zu wenig getrunken.«
    Â»Das wird auch so sein, aber ich glaube eher, du hast Fieber.« Dann sah er, wie Neele hinkte, und verlangte ihr Bein zu
sehen. Als sie den Rock hob und den Zwirnstrumpf hinunterrollte, gab er einen
besorgten Laut von sich. »Das gefällt mir nicht, Neeleken! Komm, das soll sich
der Bordarzt anschauen.«
    Er führte Neele quer über das Deck zu den Aufbauten und in einen
kleinen weiß gestrichenen Raum. In Schränken an der Wand standen ein paar
Flaschen mit Heilmitteln, die sie kannte, etwa Tierkohle gegen Magenbeschwerden,
und andere mit Kapseln

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