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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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seinem
Bronzemesser könnte jederzeit wiederkehren – aber Frieder kümmerte sich nicht
um ihre Schreie, er hatte ihr den Rücken zugewandt und ging davon. Dann wieder
fand sie sich im Traum vor der Tür des grünen Zimmers in Haus Norderbrake
wieder und sah, wie die Tür sich langsam, langsam fingerbreit öffnete und eine
schmale, dünne Frauenhand herausgriff … die Hand ihrer Mutter. Sie wehrte
sich verzweifelt dagegen, dass diese Hand sie fasste und in das Zimmer hineinzog,
aber es gelang ihr nicht, und erst als sie mit aller Kraft schrie, erwachte
sie, und es war nur Paula, die neben dem Bett stand und den Eisbeutel
wechselte.
    Wenn sie aus ihren Träumen erwachte oder Paula sie weckte, um ihr
einen Löffel voll Medizin zu verabreichen, schien ihr die Umgebung seltsam
verändert. Die Kabine hatte dann einmal nach außen gebauchte Wände, oder die
Balken waren ineinander verschlungen, oder der Boden hob sich in der Mitte zu
einem runden Hügel. Alle Stimmen, die sie hörte, kamen zuweilen aus weiter Ferne,
dann wieder schallten sie ihr ins Ohr. Sie bekam nur undeutlich mit, dass Paula
sich ständig um sie bemühte, ihr die Medizin einlöffelte und die Umschläge
wechselte, sobald sie warm wurden. Und einmal sah sie ganz deutlich Herrn
Bessemers braunen Diener, wie er mit einem Eimer die Kabine betrat.
    Sie hörte die Stimme des deutschen Amtmanns: »Ich weiß schon, dass
Sie Arzt sind, mein Lieber, aber ich glaube, dass Frau Selmaker im Augenblick
alle Hilfe braucht, die sie kriegen kann, und ich habe es nie bereut, dem
Schamanen über die Schulter zu schauen.« Dabei griff er in ein Porzellangefäß
und zog eine Handvoll eingeweichter roter Schoten hervor sowie einen Knoblauchknollen.
»Das nehme ich immer auf Reisen mit, wenn ich mir den Magen verderben sollte,
es reinigt und vertreibt die Infektion, aber es wird wohl auch äußerlich angewendet
helfen.«
    Neele fühlte, wie die Schoten und der Knoblauch aufgelegt wurden –
was für ein Geruch die enge Kabine füllte! –, und zog die Decke um sich
zusammen, so eisig kalt rannen ihr die Fieberschauer über den Körper. Sie
erinnerte sich daran, wie sie ein kleines Mädchen gewesen war und Scharlach und
Fieber hatte. Damals hatte Tante Käthe geweint vor Angst, sie könnte sterben.
Und jetzt? Würde sie jetzt sterben? Wenn die Infektion von ihrem Knie aus in
den ganzen Körper zog, würde sie Kieferklemme bekommen und sterben.
    Â»Sie hat so hohes Fieber«, hörte sie Paulas sorgenvolle Stimme.
»Aber ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Stell dir vor, wir müssen den
Laudruns schreiben, dass sie unterwegs gestorben ist!«
    Â»Still!«, flüsterte Lennert warnend. »Sie
darf so etwas nicht hören.«
    Aber Neele hatte es gehört und weinte bitterlich.
    Es war Morgen, als sie erwachte und zum ersten Mal wieder mit klaren
Augen in die Welt blickte. Sie sah, dass Paula angekleidet auf ihrem Bett lag
und schlief, und die Erinnerung kehrte zurück, wie die Schwester des Doktors
sich um sie bemüht hatte. War sie so schwer krank gewesen? Sie konnte sich nur
unbestimmt erinnern, was geschehen war, seit sie nach dem Sturm wieder an Deck
gegangen war und Lennert ihr gesagt hatte, sie habe Fieber. Was war aus ihrem
Bein geworden? Sie tastete unter die Decke und spürte einen dicken Verband,
aber es tat nicht mehr sonderlich weh.
    Vorsichtig versuchte sie sich aufzusetzen und wäre beinahe von der
Bettkante gefallen, so schwach fühlte sie sich. Jetzt sah sie erst, wie besorgt
Paula um sie gewesen war, denn bei der ersten Bewegung erwachte diese und
blickte zu ihr hinüber.
    Â»Es geht mir schon besser«, sagte sie rasch. »Was war denn mit mir?
Ich erinnere mich, dass Lennert sagte, ich hätte Fieber …«
    Â»Das hattest du auch, und nicht zu knapp.«
Paula, die blass und übernächtigt aussah, setzte sich auf und zog ihre Kleider zurecht. »Du musst stark wie ein Ross sein, dass du das
überstanden hast.«
    Â»Ich fühle mich eher wie ein nasser Lumpen. Und …« In jähem
Schrecken legte sie die Hand auf den Bauch. »Was ist mit dem Kind?«
    Â»Ich kann dir nur sagen, dass du keine Fehlgeburt hattest, mit
Sicherheit nicht. Also wird wohl alles in Ordnung sein. Willst du an Deck gehen?«
    Neele nickte. Sie sehnte sich nach frischer Luft und dem Glanz der
Sonne. Als sie mühsam die

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