Im Land der Mond-Orchidee
und Kügelchen und Tabletten darin, die ihr fremd waren.
Beunruhigend war ein glasgedeckter Schrank mit ein paar Messern, Zangen und
Pinzetten darin. Wenn er nun etwas an ihrem Knie schneiden musste? Sie warf
einen ängstlichen Blick darauf. Das Blut klebte dick an der Wunde, sodass sie
nicht sehen konnte, ob Splitter darinsteckten.
Lennert fragte, ob sie sich erinnern könne, worauf sie gefallen war,
aber das wusste sie nicht mehr, es war ja alles stockdunkel gewesen, und bei
dem ständigen wilden Auf und Ab des Schiffes und der Ãbelkeit, die sie quälte,
hatte sie keine Aufmerksamkeit für irgendetwas um sich übrig gehabt. »Ich habe
keine Ahnung mehr. Ich bin gestolpert, als das Schiff so heftig schaukelte,
aber ich habe es nicht einmal mitbekommen, weil mir so furchtbar übel war, dass
ich nur noch möglichst rasch auf den Abtritt wollte.«
Er murmelte vor sich hin, trat dann mit einer Waschschüssel voll
Wasser und einem Schwamm an sie heran und begann, das Knie zu säubern. Jetzt
erst sah Neele, wie aufgeschwollen es war, und einen hässlichen, feuerroten
Farbton hatte es auch. Als Lennert die Krusten von getrocknetem Blut abwusch,
kamen Risse zum Vorschein, die sich kreuz und quer durchs Fleisch zogen, und
darin steckten kleine, scharfe Holzsplitter. Der Arzt griff nach der Pinzette.
»Halt still jetzt; wir müssen zusehen, dass wir alle diese Splitter
herauskriegen, wenn dein Knie wieder in Ordnung kommen soll.«
Das Herausziehen schmerzte, aber sie biss tapfer die Zähne zusammen.
Während Lennert noch beschäftigt war, erschien der Schiffsarzt, ein mürrischer
alter Deutscher, der Neele nicht einmal grüÃte, sondern nur ihr Knie packte und
mit groben Griffen hin und her drehte. Ihr brach der Schweià aus, so heftig
fuhr es ihr durch und durch, als er Lennert die Pinzette aus der Hand nahm und
mit raschen, routinierten Griffen die Splitter herauszog. Er war zweifelsohne
ein geschickter Arzt, aber er hätte durchaus etwas weniger grob sein können â
und freundlicher auch!
Neele, die sich miserabel fühlte, war wütend, weil er sie
behandelte, als stehle ihr verletztes Knie ihm seine kostbare Zeit, aber sie
schwieg. Es hatte ja doch keinen Sinn, hier einen Streit anzufangen, in dem sie
auf jeden Fall unterliegen würde. AuÃerdem hatte sie allmählich nicht mehr die
Kraft für einen Streit. Sie wollte nur noch zu Bett gehen und ihre Ruhe haben.
Ständig liefen ihr heiÃe und kalte Schauer über den
Rücken, sie schwitzte, und der kleine Raum verschwamm ihr vor Augen. Seltsamerweise
stimmte auch mit ihren Ohren etwas nicht, denn die Stimmen von Lennert und dem
Bordarzt entfernten sich einmal von ihr, dann kamen sie wieder ganz nahe, als
schwebte sie, Neele, einmal zu den beiden Männern hin und entfernte sich dann
wieder von ihnen.
»Das sieht mir nach ziemlich hohem Fieber aus«, hörte sie den
Bordarzt sagen. Lennert antwortete etwas darauf, das ihr entging, und dann war
da wieder der Arzt: »Von dem hier geben Sie ihr nach Gebrauchsanweisung einen
Löffel voll, und zusätzlich machen Sie so oft wie möglich kalte Wadenwickel,
das ist Ihnen ja alles vertraut. Ansonsten können wir nur hoffen, dass sie
kräftig genug ist, sich selber zu heilen.«
Sie hörte Lennert etwas antworten, aber seine Stimme hörte sich an,
als käme sie durch die Wand. Paula tauchte auf und half ihr beim Aufstehen.
Jeder Schritt tat weh, als sie, von den beiden Geschwistern gestützt, die
steile Treppe hinabhüpfte und -hinkte. Sie war erleichtert, dass sie unten in ihr
Bett fallen und sich in die Decke rollen konnte, denn jetzt war ihr wieder
kalt, nachdem ihr eben noch glühend heià gewesen war. Paula zog ihr Schuhe und
Strümpfe aus und war schon damit beschäftigt, ihr kalte Wadenwickel zu machen.
Neele schloss die Augen. Sie war noch völlig erschöpft von den zwei
weitgehend schlaflosen Nächten, in denen der Zyklon das Schiff umtobt hatte,
und das Fieber zehrte an ihr. Sie fiel in einen tiefen Schlaf, aber es war kein
erholsamer Schlaf. Albträume quälten sie, in denen sich Vergangenheit und
Gegenwart wunderlich vermischten. Einmal träumte sie, dass sie auf dem
heidnischen Altar bei Norderbrake lag und in einen düsteren Gewitterhimmel
starrte, dass sie verzweifelt nach Frieder schrie, er möge kommen und sie
losmachen, sie sei gefesselt, und der heidnische Priester mit
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