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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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immer, ihm auszuweichen, und sie musste ein paar Tage im
Haus bleiben, um die Spuren der Prügel zu verbergen. War er allerdings
nüchtern, so war er ein freundlicher und hilfsbereiter Mensch.
    Eines Morgens stand sie früh auf, kochte unten Kaffee und wärmte die
Blechkuchen vom Vortag auf, als jemand an die Tür pochte. Sie rannte hinauf,
als sie eine Stimme auf Deutsch sprechen hörte, die ihr vage bekannt vorkam,
öffnete die Tür – und stand Angesicht zu Angesicht mit Jürgen Simms.
    Er lachte laut auf und schrie mit einer Wortgewalt, die Lennert und
Paula an die Tür rief: »Überraschung, was?«
    Ihre Verblüffung war so überwältigend, dass sie kein Wort
hervorbrachte, sondern es Paula und Lennert überließ, den so völlig
unerwarteten Gast zu begrüßen. Sie nahmen ihn in die Arme, Paula küsste ihn,
während Lennert ihn abklopfte, nur Neele brachte keine Bewegung zustande,
obwohl er sie zwei Mal anredete. Schließlich folgte sie den Freunden ins Innere
des Hauses, wo sie sich an den Küchentisch setzten.
    Â»Jürgen!«, rief Lennert. »Wie ist das
möglich? Welcher Wind hat dich hergeweht? Hat Tante Käthe dir Neeles Brief
gezeigt?«
    Â»Ich wusste schon vorher Bescheid.« Jürgen
presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich hab gesehen, wie
Frieder sein Billett verkaufte. Ich wollte ihn festhalten und ihn zwingen, mir
zu sagen, was er vorhat, aber er knallte mir die Faust aufs Kinn, dass ich zu
Boden ging, und als ich endlich wieder die Augen aufschlagen konnte, war er
fort. Da dachte ich, jetzt kann ich nichts anderes tun als hierherfahren,
Neeleken, und dich suchen.« Er griff nach ihrer
Rechten und umfasste sie mit seinen beiden Händen. »Ich dachte, wenn du allein
hier bist, brauchst du Hilfe.«
    Â»Allein!«, protestierte Paula. »Du hast
doch gewusst, dass wir auch bei ihr sind. Dachtest du vielleicht, wir würden
sie im Stich lassen?«
    Jürgen blickte verlegen zu Boden. Nein, natürlich nicht. Das hatte
er nicht gedacht. Aber es war eben ein Unterschied …
    Neele hob mit einer abrupten Bewegung den Kopf. »Du hast gewusst,
dass mein Mann mich verlassen hat, und bist hergekommen, weil du dachtest,
jetzt gehöre ich dir.«
    Er gab widerstrebend zu, dass er das wohl irgendwie auf diese Weise
gedacht hatte. Sie hatten einander doch schon als Kinder gekannt, und wenn
jetzt Frieder sie so schmählich im Stich ließ, musste eben ein anderer einspringen … Himmel, er schien wirklich zu denken, dass sie mit jedem zufrieden sein
würde, der Frieders Platz einzunehmen bereit war! Gewiss, in einer Weise hatte
sie sich gefreut, ihn wiederzusehen, weil er ein Stück Norderbrake war, ein
lebendiges Stück ihrer alten Heimat. Aber sie dachte nicht daran, ihm jetzt in
die Arme zu fallen, nur weil er einen so kühnen Entschluss gefasst hatte. Es
war ja seine Sache gewesen, wenn er ihr folgte, um sie am anderen Ende der Welt
einzufangen. Es verpflichtete sie zu nichts.
    Lennert, der die Spannung deutlich spürte, schlug vor, die Ankunft
des Freundes im Dorfkrug unten zu feiern.
    Jürgen folgte ihm begeistert, aber die beiden Frauen hielten sich
zurück. Neele wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie gewissermaßen Hand
in Hand mit dem jungen Mann aus ihrer Heimat im Dorfkrug erschien. Das hätte zu
viele Zweifel an ihrer ursprünglichen Geschichte geweckt und natürlich bei allen den Eindruck hinterlassen, dass Jürgen ihr weitaus
näher stand, als sie zugab. In Wirklichkeit war sie wütend auf ihn. Kaum hatte
sie angefangen, hier einigermaßen Fuß zu fassen, hatte sie schon mit einem neuen
Problem zu kämpfen. Auf keinen Fall durfte Jürgen sich hier ins Haus drängen.
Egal, wo er unterkam, sie hatten ihn nicht eingeladen, und er musste aus
eigenen Stücken zusehen, wo er ein Dach über dem Kopf fand.
    Â»Paula«, drängte Neele, »Lennert darf auf keinen Fall zulassen, dass
er sich hier bei uns einnistet, das bringt uns alle in die größten
Schwierigkeiten – mit den Klosterfrauen, mit der deutschen Gemeinschaft, mit
dem Konsulat. Ich habe ihn nicht gebeten zu kommen. Er hat keinen Anspruch auf
Hilfe. Er ist nicht in der gleichen Situation wie wir damals, er wusste von
vornherein, dass er vor dem Nichts stehen würde.«
    Paula stimmte ihr zu. »Am besten«, schlug sie vor, »besprechen wir
das Problem mit

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