Im Land der Mond-Orchidee
Schwester Florinda â wenn die ihn an die Luft setzt, wird er es
kaum wagen zurückzukommen.«
Das taten sie dann auch. Die alte Nonne, die das Erscheinen eines
unbekannten jungen Mannes am Gartentor mit dem gröÃten Misstrauen beobachtet
hatte, war sofort einer Meinung mit ihnen, dass er sich anderswo ein Quartier
suchen musste und generell nicht zu freundlich aufgenommen werden sollte. Das
schwächste Glied in der Kette war in diesem Fall Lennert. Er war gerne in Gesellschaft
anderer Männer, er mochte Jürgen, und ihm schmeckte das hausgebraute Bier im
Dorfkrug. Er würde sich auf die Seite des Eindringlings schlagen.
So war es auch. Die beiden kamen erst am späten Nachmittag heim.
Beide hatten mehr getrunken, als ihnen guttat, und waren in heimatseliger
Stimmung. Wäre Florinda nicht gewesen, die beiden jungen Frauen hätten es nicht
geschafft, sich Jürgen vom Leib zu halten. Zuletzt brachte Lennert ihn zu dem
Losmen beim Festplatz und besorgte ihm dort eine Unterkunft. Am nächsten Tag
wollten sie weitersehen.
Paula war wütend auf ihren Bruder. »Du besäufst dich, du grölst mit
diesen anderen Bierseligen im Dorfkrug deutsche Lieder â was für einen Eindruck
sollen eigentlich die Eingeborenen von uns bekommen? Die müssen ja denken, alle
Europäer wären das letzte Gesindel! Und was ist, wenn man dich gerufen hätte?
Du bist der einzige brauchbare Arzt weit und breit, der alte Knacker im Dorf
unten kann sich ja kaum noch auf den Beinen halten, und halb blind und taub ist
er auch!«
Lennert zeigte sich zerknirscht. Ja, er hätte einen Fehler gemacht.
Es sei einfach so schön gewesen, wieder jemand aus der alten Heimat zu treffen.
Neele schlief schlecht in dieser Nacht. Sie hatte merkwürdige
Träume, in denen Jürgen sie hart an der Hand fasste und über die Bambusbrücke
zog, während Ameya ihr traurig nachsah, und dann war es wieder Ameya, der ihr
den Steigbügel seines Pferdes hielt und ihr zuflüsterte, sie müsse mit ihm nach
Australien fliehen, und jedes Mal ging ihr ein Stich durchs Herz. Wenn sie
aufwachte, erinnerte sie sich daran, was Jürgen am letzten Tag ihres
Zusammenseins in Norderbrake zu ihr gesagt hatte, wie fest entschlossen er
gewesen war, sich ihrer zu bemächtigen. Er musste es wirklich ernst meinen,
wenn er eine so lange und beschwerliche Reise auf sich genommen hatte, nur um
sie wiederzusehen. Er hatte sich völlig verbissen in den Gedanken, dass er
jetzt, wo Frieder nicht mehr im Spiel war, das Recht und die Pflicht hatte, sie
als seine Gefährtin zu betrachten, ob sie das wollte oder nicht.
Wer würde denn überhaupt fragen, was sie wollte? In einer solchen
Situation fragte man die Behörden, die Kirche, die Eltern, aber zuallerletzt
fragte man die Frau, um deren Leben es doch eigentlich ging. Frieder hatte
kurzerhand über sie bestimmt, dass sie nach Java zu fahren hätte. Jetzt wollte
Jürgen bestimmen, dass sie hier unter seinem Schutz stand. Und Ameya? Sah der
sie nicht auch im Zerrspiegel der Sitten und Gebräuche seines Landes?
Sie wachte früher als gewöhnlich auf. Ãbellaunig stieg sie hinunter
zum Brunnen, holte ein paar Eimer Wasser für das groÃe gemauerte Wasserbecken herauf
und trug das Kaffeewasser in die Küche. Es geschah genau, wie sie erwartet
hatte: Sie war noch nicht einmal mit dem Kaffee fertig, als heftig an der Tür
gepocht wurde. Jürgen stand drauÃen.
»Guten Morgen!«, rief er gut gelaunt. »Ich
dachte, ich komme mir meinen Kaffee hier abholen. Im Moorhof gabâs immer guten
Kaffee, während ich da oben in der Strohhütte nicht weiÃ, ob nicht ein paar
Käfer drin schwimmen. Sieht mir alles ein bisschen primitiv aus.«
Neele zögerte. Es erschien ihr sehr hart, ihm zu sagen, dass er
nicht einmal eine Tasse Kaffee bei ihnen trinken dürfte, obwohl es ihr lieber
gewesen wäre, sie hätte ihn überhaupt wegschicken können. Widerwillig lieà sie
ihn ein.
Er trat über die Schwelle und sah sich um. »Hübsch!«,
sagte er. »Alles ganz neu. Was anderes als eure alte Mäuseburg auf der Wurt.«
Sie wandte ihm den Rücken zu und fing an, das Frühstück auf dem
achteckigen Tisch im Empfangszimmer anzurichten. »Das hier ist nicht unser
Haus«, sagte sie über die Schulter hinweg. »Da niemand weiÃ, wer der eigentliche
Besitzer ist, verwaltet es fürs Erste der deutsche
Weitere Kostenlose Bücher