Im Land der Mond-Orchidee
sich, dass selbst Tante Käthes ständig übellauniger
calvinistischer Gott nicht halb so schlimm war wie diese andauernde Angst vor
Geistern, die sich in allem und jedem verbargen. Sie lauerten selbst in leblosen
Gegenständen, denn wie Schwester Florinda ihr erklärte, waren die Javaner,
obwohl sie sich nach auÃen hin zum Islam bekannten, im Grunde Animisten â
Gläubige, die jeden Baum, jeden Stein, jeden Fluss und jede Feuerflamme als
beseeltes, ja göttliches Wesen ansahen, am meisten aber die Tiere.
»Sie leugnen es, wenn man sie fragt«, sagte sie, »und manche sind
wohl selber davon überzeugt, schlieÃlich wurden sie schon vor Jahrhunderten
zwangsweise zu Mohammedanern gemacht. Aber kaum geraten sie irgendwo in die
Klemme, fallen der Islam und das Christentum gleichermaÃen von ihnen ab, und
sie wenden sich an ihre alten Götter, die in den Vulkanen und im Urwald hausen.
Deshalb wenden sie sich auch schnell gegen einen Menschen, der ihnen bedenklich
erscheint. Sie haben Angst, ein solcher Mensch könnte eine Art bösen Zauber auf
sie ziehen, und es sei deshalb besser, nicht mit ihm oder ihr gesehen zu werden.«
Neele dachte, das sei ein törichter Aberglaube. Noch wusste sie
nicht, wie bald dieser Aberglaube ihr eigenes Leben verdunkeln sollte.
4
A ls Neeles Herz
erst einmal Feuer gefangen hatte, brannte die Glut still und stetig. Die
Umstände kamen ihr entgegen: Die Nonnen zu besuchen, sooft er wollte, stand
Ameya frei; es musste ja niemand befürchten, dass er sich aus dem Kreis der
Gott geweihten Frauen eine Gattin wählte oder engere Beziehungen aufnahm.
Gleichzeitig nutzte Dr. Bessemer jede Gelegenheit, im Waisenhaus vorzusprechen
und sich durch allerlei kleine Gefälligkeiten bei den Nonnen beliebt zu machen.
So sah Neele den Mann, den sie liebte, recht häufig, und ihre Liebe wuchs, auch
wenn keiner der beiden seine Gefühle in Worte fasste. Ameya war scheu; die
allgemeine Art der Javaner, sich niemandem aufzudrängen, kam zu der natürlichen
Schüchternheit eines jungen Mannes, der womöglich seine erste Liebe erlebte.
Und Neele hatte zu viel Schlimmes erlebt, um einer neuen Liebe gegenüber unbefangen
zu sein.
Aber je näher sie einander kamen, desto deutlicher wurde ihnen
beiden bewusst, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte. Neele merkte, dass die
deutsche Gemeinschaft die vielen Besuche des Wedono mit scheelen Blicken
beobachtete, und gelegentlich bekam sie spitze Bemerkungen zu hören, ob es denn
nicht genug weiÃe Männer gebe, dass sie zu einem Fremden so freundlich sein
müsste. Sie erwiderte dann achselzuckend, sie sei gerne zu jedermann höflich
und freundlich, und im Ãbrigen habe sie keinen Einfluss darauf, wen die
Schwestern einluden, aber die Lästerzungen lieÃen sich nicht täuschen.
Richard Hagedorn wurde einmal, als er zu viel getrunken hatte, ausfällig.
Als sie aus dem Kaufhaus kam und zu ihrem Einspänner gehen wollte, trieb er
sein Pferd an, sodass es quer über die StraÃe zu stehen kam und ihr den Weg
blockierte, und rief mit heiserer Stimme: »Sieh an, die schöne Frau Selmaker,
die einen Gatten verloren hat und jetzt so einsam ist, dass sie einen
Pfefferfresser nimmt!«
Neele suchte ihm auszuweichen, aber er rückte ihr zusehends auf den
Leib, dass ihr angst wurde. Ihr Pferd drohte auszubrechen und den Hang
hinunterzustürzen, als er ein ums andere Mal mit der Peitsche danach schlug und
seinen Apfelschimmel antrieb, sodass dieser dem an Streitereien nicht gewöhnten
Kutschenpferd auf die Hufe stieg. Sie hielt die Zügel fest und versuchte
gleichzeitig, dem nervösen Pferd und dem bösartig erregten Mann gut zuzureden,
sie möchten sich wieder friedlich benehmen. Aber ob sie es geschafft hätten,
war fraglich, wäre nicht Frau Selders aus ihrem Laden gekommen und hätte Richard
energisch zugerufen, er solle die junge Frau in Ruhe lassen. Er grollte, lenkte
aber dann seinen Hengst auf die StraÃe zurück und verschwand.
Neele dankte mit pochendem Herzen.
Frau Selders warf ihr einen schrägen Blick zu. »Er ist
unausstehlich, wenn er betrunken ist, aber ich muss schon sagen, Frau Selmaker,
man muss ihn nicht auch noch reizen.«
»Womit habe ich ihn gereizt?«
»Das wissen Sie sehr gut«, sagte die Ladeninhaberin, »und ich
brauche Ihnen nicht mehr dazu zu sagen. Hier gibt es Manieren, an die man sich
halten muss, und wer das
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