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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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schrieb ganze
Briefe an ihn, in denen sie ihm ihre Liebe versicherte. Diese Briefe enthielten
jedoch auch seltsame kleine Hinweise darauf, dass die beiden ein Geheimnis
geteilt hatten: »Als wir noch in dem kleinen Haus in den Dünen wohnten, war es
leichter, ein Geheimnis zu bewahren, als hier in dem großen Moorhof mit seinen vielen
neugierigen Augen.« Und an einer anderen Stelle hieß es: »Ich fürchte deine
Tante, sie sieht und hört alles, und was sie nicht sieht und hört, das spürt
sie mit einem sechsten Sinn, vor dem man nichts verbergen kann. Manchmal denke
ich, wir können es nicht bewahren. Ich bin nur froh, dass das Kind so klein
ist, sie versteht nichts und kann sich nicht erinnern.«
    Neele saß lange über den geheimnisvollen Briefen. Sie war zornig auf
Tante Käthe und Onkel Merten, die ihr nie gesagt hatten, dass ihre Mutter noch
am Leben war. Hätte sie gewusst, dass Elsie lebte, so wäre sie in die Anstalt
gefahren und hätte sie dort besucht … oder vielleicht doch nicht? Sie musste
zugeben, dass sie nicht genau wusste, wie sie reagiert hätte. Es war nicht
einfach, eine geistesgestörte Mutter zu haben, und ein Besuch in einem Irrenhaus
war eine zutiefst bedrückende Angelegenheit. Vielleicht wäre sie gar nicht
hingefahren. Was nützte es jetzt noch, darüber nachzugrübeln! Sie konnte nichts
mehr daran ändern. Es brannte ihr auf der Seele zu erfahren, welches Geheimnis
Elsie und Heiner so ängstlich gehütet hatten – und doch vor Tante Käthe nicht
hatten verbergen können. Hing es mit den spitzen Bemerkungen zusammen, die
Käthe dann und wann über die Tugend ihrer Schwiegertochter gemacht hatte? Ihrer
Angst, Neele könnte der Mutter nachgeraten und eine liederliche Person werden?
Die Briefe gaben keinen Hinweis darauf. Sie ließen nur erkennen, dass Elsie ihren
Ehemann über alles geliebt hatte und diese Liebe offensichtlich erwidert worden
war.
    Mit einem tiefen Seufzer schob Neele die Briefe zusammen, steckte
den Packen zurück ins Kuvert und verbarg es in der Truhe mit ihren persönlichen
Besitztümern. Elsies Schicksal war furchtbar, und doch konnte sie auf eine
glückliche Ehe zurückblicken, während die Ehe ihrer Tochter mit Lieblosigkeit
begonnen und mit Verrat geendet hatte. Was ihre Mutter wohl dazu gesagt hätte,
wenn sie ihr von Ameya erzählte? Ob sie Verständnis dafür gehabt hätte, dass
die ganze Liebe ihrer Tochter einem so fremdartigen Mann galt? Sollte sie ihr
schreiben und ihr davon erzählen? Aber nein, noch war es zu früh. Sie wollte
erst eine Antwort auf ihren Brief an Tante Käthe abwarten.
    Den Kopf voll erregter Gedanken, ging sie zu Bett.

2
    S ie hatte sich
nicht geirrt, was Jürgens Neugierde anging. Am nächsten Morgen erschien er in
aller Frühe und wollte wissen, ob sie die Briefe gelesen hätte. Sie wurde so
zornig, dass sie ihn anschnauzte: »Hör zu, wenn ich sie gelesen habe, dann
wärst du der Letzte, dem ich es anvertrauen würde. Du hast mit deiner Neugier
und deiner Geheimnistuerei immer nur Unheil angerichtet, und was gehen meine
Angelegenheiten dich überhaupt an? Siehst du nicht, dass du mich hier in eine
völlig unmögliche Situation bringst? Es war peinlich genug, vor fremden Leuten
erklären zu müssen, dass mein Mann mich geschwängert und dann verlassen hat …«
    Jürgen machte eine großartige Bewegung. »Ach was, Unsinn! Die haben
vollstes Verständnis für dich. Wir haben gestern lange mit dem jungen Hagedorn
über dich gesprochen, und, nun ja, vielleicht hätte seine frisch angetraute
Ehefrau nicht gerne gehört, was er über dich zu sagen hatte, aber er schätzt
dich jedenfalls sehr …«
    Neele blieb die Luft weg vor Wut. Was für ein Idiot! Da saß er in
der Kneipe und hechelte ihre Vorzüge durch, und die Männer stellten sich
allesamt dumm genug an, dass die junge Frau Hagedorn davon erfahren würde. Sie
konnte der nicht einmal einen Vorwurf machen, auch wenn sie vor Wut kochte. Was
hätte sie selbst denn in einer solchen Situation getan?
    Paula war ganz ihrer Meinung, aber Jürgen war stur wie ein Ochse. Er
beharrte darauf, es sei doch alles gut verlaufen. Die Männer im deutschen Dorf
hätten klargemacht, dass jeder von ihnen bereit wäre, der schönen Neele
Selmaker seine Schuhe unters Bett zu stellen. Warum musste sie dann ein so
saures

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