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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
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Moment rot. Die angestaute Wut der letzten Wochen entlud sich explosionsartig beim Anblick ihres gequälten Sohnes. Sie packte Harm bei den Schultern, schleuderte ihn herum und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Bevor das Kind überhaupt reagieren konnte, beugte sich Erika blitzschnell hinunter, bis ihr Gesicht dicht vor den schreckgeweiteten Augen des Knaben lag: »Wenn ich dich noch ein Mal«, fauchte sie drohend, »noch ein Mal dabei erwische, werde ich es deinem Vater erzählen, und dann gnade dir Gott, was passieren wird, wenn er erfährt, dass ihr nicht seinen Anweisungen folgt.«
    Dicke Tränen quollen jetzt aus den Augen des Jungen. Schlagartig empfand Erika Schuldgefühle, ihn so angefahren zu haben. Harm glitt an ihr vorbei aus dem Zimmer. Während Erika Reiner tröstete, hörte sie, wie Harm eilig seine Brüder zusammentrieb und alle artig am Tisch Platz nahmen. Ihr kleiner Ausbruch hatte ihr offensichtlich Respekt verschafft.
    Insgeheim hoffte sie, dass Harm seinem Vater oder seiner Mutter nichts von diesem Vorfall erzählte, sie fühlte sich nicht ganz wohl in ihrer Haut und wusste nicht, wie sie dazu stehen sollte. Aber Harms Reaktion auf die Drohung, seinen Vater zu informieren, eröffnete ihr unverhofft eine neue Möglichkeit im Umgang mit den Kindern. Vor Ernst van Drag hatten die Kinder großen Respekt, und Erika beschloss, sich dies zu Nutze zu machen. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, die Kinder hätten ihr den nötigen Respekt, den man eigentlich einem Erwachsenen zu zollen hatte, von selbst entgegengebracht, aber wenn es nicht anders ging, dann eben so. Die bloße Andeutung, dass etwas Negatives zum Vater vordringen könnte, ließ die Kinder in der Folge zumindest vorübergehend zu kleinen mustergültigen Engelchen werden. Erika hatte endlich das Gefühl, Herrin der Situation zu sein.
    Selbst Frieda van Drag ließ ein paar Worte des Lobes erklingen, als sie nach ein paar Tagen bemerkte, dass die Lautstärke und die Toberei im Haus während des Vormittags abnahmen. Die Hausherrin schob inzwischen einen beachtlichen Bauch vor sich her, es waren nur noch wenige Wochen bis zur Niederkunft. Ständig umschwirrt von zwei Leibsklavinnen, gab sie sich ganz dem Leid der Schwangeren hin und ließ sich abwechselnd baden, trocknen, füttern und bequem betten, um nach einer kurzen Ruhe gleich wieder nach Hilfe zu rufen. Erika dünkte, dass eine Schwangerschaft für Frieda van Drag durchaus Mittel zum Zweck war, sie bekam Aufmerksamkeit und musste sich nicht um die anderen Kinder kümmern. Mit Blick auf die letzten beiden Jahrzehnte war das bei zwölf Schwangerschaften für Frieda sicherlich nicht das unbequemste Leben gewesen.
    Dass diese zahlreichen Schwangerschaften noch einen anderen Grund hatten, ahnte Erika zu diesem Zeitpunkt nicht.
    Auf Bel Avenier gab es neben den schwarzen Arbeitssklaven auch eine Gruppe deutscher Holzfäller, die als Vorarbeiter fungierten und die Sklaven bei der Arbeit im Holzgrund anleiteten. Während die Männer den überwiegenden Teil der Woche tief in den Wäldern verbrachten, von wo das Holz direkt über die Kreeke und Flüsse in Richtung Stadt abtransportiert wurde, saßen die Frauen daheim auf der Plantage und kümmerten sich um den Haushalt, die Gärten und die Kinder.
    Als Erika zum ersten Mal die Häuser der Deutschen sah, die sich wie in einem kleinen Dorf um einen zentralen Platz drängten, hatte sie mit den Tränen gekämpft, so sehr fühlte sie sich an ihre alte Heimat erinnert. Die Holzfäller kamen zwar aus dem Schwarzwald und sprachen einen derben Dialekt, aber allein die heimatlich anmutenden Holzhäuschen mit gezimmerten Fensterläden und blumengeschmückten Fensterbänken riefen Erinnerungen in Erika wach und nahmen ihr für einen kurzen Moment die Luft. Ihr früheres Leben in Deutschland, im Schutz der Gemeine, mit Reinhard ...
    Die fünf Frauen der Vorarbeiter hatten das Leben in der Ferne aus den ärmsten Verhältnissen angetreten und bemühten sich redlich, das Beste daraus zu machen. Und da es ihnen hier offensichtlich wirklich wesentlich besser ging als früher im fernen Europa, hörte man sie auch selten klagen. Sie beackerten mit großem Eifer die kleinen Schollen, die ihnen der Plantagenbesitzer überlassen hatte, und dankten Gott jeden Tag, dass er ihnen dieses üppige Land gebracht hatte.
    Im Austausch mit den Frauen änderte sich Erikas Einstellung ganz allmählich. Auch wenn Surinam sie auf eine harte Probe gestellt hatte – ihr war es

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