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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
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schweigend im Schatten der Bäume.
    Julie fasste sich schnell wieder, nahm dankend sein dargereichtes Taschentuch und tupfte sich die Tränen aus den Augen. »Danke. Es ist nur ... Ich ...« Sie schien sich innerlich zu schütteln.
    »Was ist denn nun passiert?« Die Sorge war Jean Riards Stimme deutlich anzuhören.
    Julie zögerte. Unmöglich konnte sie ihm sagen, was passiert war. Zu ... zu ungeheuerlich war das, was sie gerade gewahr geworden war. Sie schluckte und sagte so tapfer wie möglich: »Nichts ... schon gut, ich war nur ...«
    Er fragte nicht weiter, schenkte ihr aber ein verständnisvolles Lächeln.
    Julie bemühte sich, zumindest nach außen hin, die Fassung zu bewahren. Als sie aber später am Tag den Tisch mit Pieter teilen musste, wühlten Ekel, Abscheu und Wut sie erneut auf. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln, und so stand ihr Entschluss schnell fest: Sie musste etwas unternehmen. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis ihm das nächste Mädchen zum Opfer fiel. Kurz überlegte sie, mit Karl darüber zu reden, verwarf den Gedanken dann aber. Karl stand seinen Sklaven nach wie vor nicht sonderlich wohlgesinnt gegenüber, außerdem hatte er bisher nichts gegen die Vergewaltigung seiner Sklavinnen durch Pieters Sklaven unternommen. Wenn jetzt allerdings publik würde, dass sein zukünftiger Schwiegersohn ... Das würde vermutlich einen Eklat heraufbeschwören. Julie kannte Karls Jähzorn nur zu gut – sie hatte Angst, dass die Geschichte auch auf sie zurückfallen könnte.
    In den nächsten Tagen stattete Julie den Sklaven im Dorf häufig Besuche ab. Die letzten Wochen war sie von den unliebsamen Hochzeitsvorbereitungen so eingenommen worden, dass sie wenig Zeit und Muße für die Dorfbewohner gefunden hatte. Mit Argusaugen beobachtete sie die jungen Mädchen. Bis auf das verletzte Kind, das sich langsam erholte, schienen aber alle unversehrt. Ihr Versuch, Amru zu den Geschehnissen zur Rede zu stellen, scheiterte kläglich. Die Haussklavin zuckte mit verbittertem Gesicht nur die Achseln und beschied Julie knapp, das sei Sache der Sklaven. Der Vater des Mädchens habe sein Kind wohl gezüchtigt.
    »Ein Vater würde sein Kind wohl kaum ...«, brauste Julie auf, hielt aber inne, als sie den Gesichtsausdruck der Sklavin sah. Aus Amru würde sie nichts herausbekommen. Auch Kiri war keine große Hilfe. Sie schien ehrlich nicht zu wissen, was vorgefallen war.
    Der Einzige, der anscheinend nicht die Augen davor verschloss, dass auf der Plantage vieles im Argen lag, war der Buchhalter Jean Riard. Besorgt fragte er wiederholt bei Julie nach. Die aber mochte ihm nicht erzählen, was sie belastete. So saßen sie sich oft schweigend auf der Veranda gegenüber. Julie, die gedankenversunken Nico beobachtete, und Riard, der in seinen Papieren las. Der junge Mann schien das Schweigen brechen zu wollen und sprach schließlich ein anderes Thema an.
    »Wie geht es denn mit Mejuffrouw Leevkens Hochzeitsplanungen voran, es sind ja nur noch wenige Wochen bis zum großen Tag.«
    Julie ließ ihre Stickerei auf den Schoß sinken. »Sie lässt mich nichts machen«, stieß es aus ihr hervor. »Ich würde ihr ja gern dabei helfen, dieses Ereignis schön zu feiern, aber im Grunde befehligt Karl, was passieren und wie es werden soll, Martina schmollt, und ich stehe zwischen den Fronten.« Julie seufzte. Im gleichen Moment fühlte sie sich erleichtert, so deutlich hatte sie die Problematik noch nie jemandem dargelegt. Wem auch?
    Riard schien die Aufgewühltheit seiner Gesprächspartnerin zu spüren. Er runzelte die Stirn, legte den Stift beiseite und schaute nachdenklich in die Ferne. Dann lachte er kurz leise auf. »Mejuffrouw Leevken besteht darauf, dass ihre Tante die Schirmherrschaft übernimmt«, sagte er schließlich. Die kurzen scharfen Wortwechsel zu den Mahlzeiten waren ihm nicht entgangen. »Das ist in der Tat ein Problem, denn so wie ich Mijnheer Leevken kenne, wird er sich da kaum erweichen lassen. Ich glaube, die Zerwürfnisse zwischen den Familien ...«
    Julie zuckte nur mit den Achseln. Das war ihr auch schon aufgefallen. »Was ist denn bloß vorgefallen, dass sie sich so überworfen haben?«
    Riard beugte sich verschwörerisch zu ihr herüber. »Das sollte ich Ihnen wirklich nicht erzählen«, er seufzte leise, »aber da es anscheinend niemand sonst tut ... Ich finde, Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was damals passiert ist. Also: Um den Tod von Mevrouw Leevken ranken sich viele Gerüchte.

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