Im Land der Orangenbluten
doch immerhin vorher nicht schlecht ergangen. Diese Frauen aber hatten schon sehr viel mehr Leid erlebt. Sie erzählten Erika von großer Not, Hunger und Armut, die sie hatten ertragen müssen. Dagegen waren Probleme wie Wechselfieber, Hitze und tropische Niederschläge in ihren Augen durchaus Lappalien und annehmbar. Von dieser Warte hatte Erika das Ganze bisher noch nie betrachtet. Sie hoffte, nach wenigen Wochen Arbeit genug Geld verdient zu haben, um ihre Suche nach Reinhard im Hinterland fortsetzen zu können. Ob die van Drags sie überhaupt ziehen lassen würden? Darüber hatte sie sich noch nicht so recht Gedanken gemacht. Und wohin sie von hier aus fahren sollte, das wusste sie auch noch nicht.
Erika war sich sicher, dass sie das schon irgendwie in Erfahrung bringen würde. Erst einmal war sie glücklich, es bis hierher geschafft zu haben. Lange hatte sie sich ihrem Mann nicht mehr so nahe gefühlt. Doch auch auf Bel Avenier lagen Glück und Unglück dichter beisammen, als Erika ahnte.
Kapitel 3
Das Streitgespräch beim Abendessen zwischen Martina und Karl wurde jäh unterbrochen, als Aiku per Handzeichen die Ankunft eines Besuchers vermeldete. Julies Herz machte einen kleinen Sprung. Sie vermied es aber tunlichst, sich in der aufgeladenen Stimmung etwas anmerken zu lassen. Herr Riard? Wie viele Wochen hatte sie jetzt warten müssen, ihn wiederzusehen?
Welch willkommene Abwechslung in diesem immerwährenden Streit um die Hochzeitsvorbereitungen. Martina hatte sich gerade wieder inbrünstig über Julie beschwert; ihr gingen die Hochzeitsplanungen nicht schnell genug voran, und sie wollte unbedingt wieder ihre Tante in die Organisation mit einbeziehen, was Karl jedoch aufs Strengste untersagte. Julie war sich keiner Schuld bewusst, schließlich war Martina diejenige, die jegliche Kommunikation abblockte. Die Nörgelei ihrer Stieftochter perlte mittlerweile an ihr ab wie ein Sommerregen. Martina war ein verwöhntes, kindisches Biest. Gerade hatte sich auch Pieter wieder getraut, Partei für seine Zukünftige zu ergreifen, was Karl zusätzlich in Rage brachte. Julie verfolgte die Diskussionen inzwischen etwas gelangweilt. Warum sich ihr Mann aber so vehement gegen die Familie seiner verstorbenen Frau wehrte, war ihr nach wie vor ein Rätsel.
Überhaupt, die Familie seiner Exfrau. Wo auch immer Julie versucht hatte, mehr über sie herauszufinden, traf sie auf eine Mauer des Schweigens. Selbst Amru zuckte jedes Mal merklich zusammen, sobald Julie die verstorbene Hausherrin zur Sprache brachte.
Vielleicht würde sie von Martinas Tante etwas dazu erfahren. Allerdings wusste Julie nicht, ob diese überhaupt mit ihr reden würde. Wenn Felices Familie genauso reagierte wie Karl ...
Als jetzt aus dem Flur Stimmen erklangen, richtete sie ihre Aufmerksamkeit gespannt auf die Tür. Zu ihrer tiefen Enttäuschung aber erhob sich Karl sofort vom Tisch und fing den Buchhalter gleich an der Tür ab, um ihn in sein Arbeitszimmer zu begleiten. Julie sah nicht mehr als Riards hochgewachsene Gestalt, die die Tür passierte. Gleichzeitig schalt sie sich ihrer innerlichen Aufgeregtheit.
Am nächsten Morgen nahm sie ihren Platz auf der Veranda ein, in der Hoffnung, der Buchhalter würde seine Arbeit an der frischen Luft verrichten wollen. Sie wurde nicht enttäuscht. Bald tauchte er, mit einem Stapel Papiere in den Händen, in der Tür auf. Als Riard Julie sah, zögerte er kurz, nahm dann aber ebenfalls am Tisch Platz.
»Guten Morgen, Mevrouw«, sagte er leise.
»Guten Morgen, Mijnheer«, entgegnete Julie etwas schüchtern. Himmel! Julie schalt sich ihrer Zurückhaltung, so zögerlich hatte sie das lang ersehnte Zusammentreffen nicht gestalten wollen. Sie wollte mit ihm sprechen, ihn viele Dinge fragen und am liebsten ... wollte sie, dass er wieder ihre Hand berührte. Aber stattdessen machte sich nun verlegenes Schweigen breit. Julie versuchte, sich auf ihre Handarbeit zu konzentrieren und das Kribbeln in ihrem Bauch abzustellen. Sie wollte auf keinen Fall, dass er merkte, wie nervös sie war. Der junge Mann steckte seine Nase in die Geschäftsbücher.
Julie suchte fieberhaft nach einem geeigneten Gesprächseinstieg, ihr wollte aber nichts Gescheites einfallen. Mitten in ihre Überlegungen erschien Kiri in der Sklaventür. Julie las sofort aus ihrem Gesicht, dass etwas nicht in Ordnung war. »Kiri, ist irgendetwas?«
Auch Riard hatte seinen Blick von den Papieren gehoben.
»Misi Juliette ... ich suche Amru, wissen Sie, wo
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