Im Land der Orangenbluten
bereits stagnierten.
Juliette war auf jeden Fall ein kleines Pfand. Ihr Vater hatte ihr sein gesamtes Vermögen vermacht. Auch wenn Juliette es erst mit einundzwanzig Jahren erhalten würde, hegte Wilhelm immer noch die Hoffnung, sich in dieser Angelegenheit irgendwie ins Spiel bringen zu können. Vielleicht gelang es ihm, eine passende Ehe zu arrangieren, am besten mit einem Mann, der Juliettes Vermögen ohne zu zögern in das »sichere Geschäft« ihres Onkels investierte. Bei einer Eheschließung vor der Volljährigkeit des Mädchens würde ihr Vermögen ihrem Gatten zufallen. Wilhelm hatte wieder und wieder über diesem Plan gebrütet und sah keinen Grund, ihn nicht in die Tat umzusetzen. Einziges Problem war Juliette selbst, sie würde sich mit Sicherheit dagegen sträuben. Sorge bereitete ihm in diesem Zusammenhang auch Juliettes Beurteilung durch die neue Internatsleitung. Diese hob nicht nur Juliettes schulische Fähigkeiten hervor – das Mädchen war gut in Niederländisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Rechnen und Geschichte –, sondern auch ihre Eigenschaften: Ihre Sanftmut und ihr tugendhaftes Verhalten empfehlen sich für eine spätere Ausbildung als Lehrkraft , so stand es im Bericht geschrieben. Wilhelm schlug bei dem Gedanken erbost mit der Faust auf den Tisch. Hoffentlich hatte man dem Mädchen noch keine Flausen in den Kopf gesetzt. Diese modernen Ansichten – Frauen, die gar arbeiteten! Wilhelm wollte Juliette als tugendhafte Ehefrau sehen und nicht als Frau, die aufgrund ihrer Berufung auf die Ehe verzichtete. Als solche würde sie ihm nicht viel nützen. Die alte Direktorin war ihm in dieser Hinsicht durchaus lieber gewesen, auch wenn sie ansonsten doch erschreckend streng gewirkt hatte, das musste Wilhelm sich eingestehen. Fast wie Margret, dachte er unwillkürlich.
Margret und Juliette – die beiden hatten aus irgendeinem Grund nie zusammengefunden. Vor acht Jahren hatte sich Margret vehement dagegen ausgesprochen, das Kind in ihrem Haus aufzunehmen. Mitleid hin oder her, sie hatte selbst drei Kinder, und die waren ihr mehr als genug. Wilhelm hatte es fast nicht anders erwartet. Eilig hatten sie sich bei Bekannten nach einer geeigneten Unterbringung erkundigt. Viele Söhne und Töchter besuchten Internate, und man hatte ihnen das Mädcheninternat in Elburg nahegelegt. Es sei eine gute Institution unter fachkundiger Führung, so war zu hören. Und es war, wie sie damals positiv bemerkt hatten, mit einem eher geringen Schulgeld zu finanzieren – im Gegensatz zu den gehobenen Internaten in Rotterdam oder Amsterdam. So war die Entscheidung schnell auf diese Schule in der kleinen Stadt am Veluwemeer gefallen. Welch idealer Ort für dieses Kind! Und offensichtlich eine gute Wahl. Nie waren Klagen gekommen, stattdessen hatte es alljährlich einen positiven Bericht über Juliettes gutes Betragen gegeben.
Mehr wollten sie sich Juliettes auch nicht annehmen. Wilhelm war seine Nichte relativ egal, sie störte ihn nicht besonders und war ihm mit ihrer ruhigen Art eher angenehm. Margret jedoch mochte Juliette aus irgendeinem Grund nicht. Kurz musste Wilhelm schmunzeln. Vielleicht war Margret ja eifersüchtig, weil Juliette sich mit den Jahren zu einem hübschen Ding gemausert hatte. Insgeheim fand er das Mädchen viel attraktiver als seine eigenen Töchter.
Margret hatte ihm immer wieder zu verstehen gegeben, wie erpicht sie darauf war, die Verantwortung für dieses Mädchen sobald als möglich abzugeben, auch wenn sie im Grunde ja nicht viel Last mit ihrer Nichte hatte.
Gerade neulich hatte Margret wieder darauf hingewiesen, dass Juliettes Zeit im Internat bald vorbei sein würde. Dann müsse man sie verheiraten – oder in einer Diakonissenanstalt einkaufen ...
»Du willst sie ins Kloster schicken?«, hatte Wilhelm seine Frau ungläubig gefragt.
»Wir können sie ja schlecht zu uns ins Haus holen«, hatte Margret ihn empört angefahren, wieder einer Ohnmacht nahe.
Wilhelm seufzte. Eine Diakonissenanstalt war teuer ... das halbe Erbe würde dabei draufgehen. Ganz abgesehen davon, dass man Juliette nicht zwingen konnte, der Welt zu entsagen. Nein, das weitaus Beste wäre, einen passenden Ehekandidaten für sie zu finden. Möglichst rasch.
Wilhelm goss sich einen Whisky aus der gläsernen Karaffe ein, die auf seinem Schreibtisch stand. Eigentlich für Gäste, aber jetzt brauchte er selbst eine kleine Stärkung. Ihm stand ein recht unangenehmes Geschäftsgespräch bevor. Einer seiner
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