Im Land der Orangenbluten
Korjale. Kiri und Jean stiegen in je eines der anderen Boote, mehr als zwei Passagiere fanden darin kaum Platz. Die Buschneger ruderten sie zum Ufer, wo die Boote in kleinen Schneisen zwischen den Mangrovenwurzeln verschwanden und von den tief herabhängenden Ästen der Bäume richtiggehend verschluckt wurden. Im Inneren des Dickichts befanden sich regelrechte kleine Wasserwege, die zum eigentlichen Ufer führten. Gut versteckt.
Sie verließen die Boote und erreichten bald das Dorf auf einer großen Waldlichtung. Gleich scharte sich eine neugierige Gruppe um die Ankömmlinge.
»Kiri? Kiri, was machst du denn hier?« Dany schob sich durch das Gedränge und begrüßte Kiri freudestrahlend.
»Dany!« Kiri berichtetet in wenigen Worten, warum sie hier waren. Dany allerdings hatte inzwischen das Baby auf Kiris Rücken entdeckt. Verzückt bestaunte er das kleine Wesen.
»Ist es ein Mädchen oder ein Junge?«
Kiri lachte. »Es ist ein Mädchen, sie heißt Karini.«
»Oh!« Er hielt dem Baby seine Finger hin und lachte leise, als Karini sich an seinen Zeigefinger klammerte.
Julie störte dieses Idyll nur ungern. »Dany, könnten wir uns unterhalten? Es ist wirklich dringend.«
»Ja, natürlich.« Er riss sich los und eilte in eine der Hütten. Kurz darauf trat eine Gestalt aus eben dieser Hütte.
Julie und Jean trauten ihren Augen nicht. »Aiku?«, riefen beide gleichzeitig.
Dany konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Misi Juliette, Masra Jean, das ist unser kapten Aikuwakanasa.« Und an Aiku gewandt: »Vater, die Weißen haben ein dringendes Anliegen.«
»Vater?« Julie verstand überhaupt nichts mehr. Auch Jean blickte sichtlich irritiert auf Aiku, der nun in ein traditionelles Gewand gekleidet und geschmückt mit üppigen Halsketten und Beinringen, vor sie trat.
Vater . In Julies Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Wenn Dany der Sohn von Aiku war und Aiku mit Felice, Karls erster Frau ... dann war Dany gar ...?
Konnte das möglich sein?
Sie würde noch einmal darüber nachdenken müssen, aber nicht jetzt. »Aiku, Pieter hat Martinas Sohn Martin und mein Kind, Henry, als Geisel genommen. Er ist den Fluss hinaufgefahren. Wir brauchen Hilfe!«
Aiku zögerte keine Sekunde. Er hob seinen Arm, woraufhin etwa zehn starke Männer hervortraten. Dann nickte er Julie zu und wies zum Fluss.
»Das sind unsere besten Jäger und Fährtenleser, sie werden euch begleiten. Und ich komme auch mit!« erklärte Dany entschieden.
Kapitel 7
Kapitän Parono steuerte sein »altes Mädchen« mittig auf dem Fluss. Rechts und links des großen Bootes waren die kleinen Korjale der Buschneger festgemacht. Da die Männer nicht rudern mussten, kamen sie sehr schnell voran.
»Der Buschneger, der bei Masra Pieter war, gehört auf keinen Fall zu unserem Stamm.« Dany stand vorne am Bug des Schiffes neben Julie und Jean. Kiri war unter Protest im Dorf zurückgeblieben, aber Dany erklärte ihr, dass es ab jetzt zu gefährlich für sie und das Baby werden würde. Jean hatte Julie mit einem besorgten Blick bedacht, auf eine Diskussion über Julies Weiterfahrt aber wohlweislich verzichtet.
»Ich glaube, ich weiß, woher er kam«, fuhr Dany fort. »Ganz oben an einem Seitenfluss des Surinam lebt noch ein Stamm. Der ist allerdings«, er verzog das Gesicht, »Fremden nicht besonders freundlich gesinnt.«
»Und warum gewähren sie dann so einem Schuft Unterschlupf?«, fragte Jean.
Dany zuckte mit den Schultern. »Mit Geld lässt sich fast alles erkaufen in diesem Land.«
Sie fuhren die ganze Nacht durch, und erst am nächsten Vormittag spürte Julie an der aufsteigenden Nervosität der Schwarzen, dass sie nun in das Gebiet des berüchtigten Buschnegerstammes kamen. Dany und ein weiterer Mann standen am Bug und spähten aufmerksam die Uferbereiche aus.
Julie erschrak, als Dany plötzlich den Arm hochriss – das Zeichen für Parono, sofort das Schiff zu stoppen.
Kaum war der Anker ins Wasser eingetaucht, glitt aus dem Uferdickicht ein Boot. Ein einzelner Mann saß darin.
Er lenkte sein Korjal schräg vor das Schiff.
»Was wollt ihr?«, rief er hinauf.
Jean trat an die Reling. »Wir suchen einen weißen Mann mit zwei Kindern.«
Der Buschneger im Boot lachte. »Hier ist niemand. Haut ab!« Er machte Anstalten sein Boot zu wenden.
»Hören Sie!«, rief Jean. »Der Mann ist ein Verbrecher, auf ihn ist eine hohe Belohnung ausgesetzt.«
Der Mann zögerte. »Belohnung?«
Julie zog geistesgegenwärtig das kleine Säckchen Geld
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