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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
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fragte sie schließlich.
    Karl schien über die Frage kurz nachdenken zu müssen. »Siebzehn«, bemerkte er dann.
    Julie warf ihm einen ungläubig entsetzten Blick zu. »Karl, deine Tochter ist gerade mal ein Jahr jünger als ich!«
    Er zuckte die Achseln. »Umso besser werdet ihr euch verstehen.«
    Julie biss sich auf die Lippen.
    »Wie heißt sie?«, fragte sie schließlich leise.
    »Martina«, antwortete Karl gelassen. Julies aufgewühlte Stimmung schien er gar nicht wahrzunehmen. »Und sie sagte, dass sie gern ein paar hübsche Umhänge hätte und zwei Hüte. Kauf einfach etwas, das dir auch gefallen würde. Wie du schon sagst ... ihr seid ja fast gleich alt.«
    Karl verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss auf Julies Stirn. »Du begleitest die Misi, Aiku!«, wies er den Diener kurz an, der gehorsam vor der Tür gewartet hatte. »Sie wird noch einige Besorgungen machen. Für Misi Martina.«
    Aikus Miene schien sich beim Klang von Martinas Namen kurz anzuspannen, dann aber nickte er ergeben wie immer.
    Julie seufzte.
    »Aiku, würden Sie bitte dann ...«
    »Juliette!« Karl drehte sich noch einmal um und herrschte sie an: »Sklaven siezt man nicht!« Dann verschwand er.
    Julie setzte sich verwirrt vor ihren Spiegel. Sie war nicht nur verheiratet, sie hatte jetzt auch eine Stieftochter! Und überhaupt, vielleicht gab es ja noch mehr Familienmitglieder, von denen sie nichts ahnte. Hatte Karl Eltern? Geschwister?
    Und wer wusste, was er ihr noch alles verschwieg! Nicht zum ersten Mal empfand sie Groll auf ihren Mann – und fast so etwas wie Angst vor ihrer eigenen Courage. Ein fremder Gatte, ein fremdes Land, eine neue Familie ... Manchmal musste Julie sich die Alternative der Diakonissenanstalt sehr genau vor Augen führen, um nicht an ihrer Entscheidung zu zweifeln.
    Als Julie und Karl zwei Tage später am frühen Morgen zum Hafen aufbrachen, erschrak sie über die große Menge Gepäck, die sich angesammelt hatte. Für den Transport der Koffer der Leevkens zum Hafen war eine zusätzliche Droschke nötig.
    Obwohl dieser 28. Januar ein kalter und feuchter Tag war, herrschte am Hafen reges Getümmel. Kutschen fuhren vor und wieder ab, Passagiere strömten auf den Kai. Familien verabschiedeten sich lautstark. Manche mit Wehklagen, andere fröhlich. Onkel Wilhelm und seine Frau hatten sich nicht die Mühe gemacht, sie zum Schiff zu begleiten, und erst recht nicht ihre Cousinen. Die grollten noch, dass Julie nun als Erste in den Hafen der Ehe eingefahren war. Julie wurde allmählich klar, dass sie keine Familie mehr hatte! Aber hatte sie überhaupt eine gehabt? Sie schalt sich unnötiger Gefühlsduselei. Ihre Familie war jetzt Karl Leevken – und seine Tochter, von der sie nur den Namen wusste.
    Julie sah einige große Vollschiffe, die auf ihre Abreise warteten. Wohin die wohl alle fuhren? Amerika, Indien? Gespannt überlegte sie, welches das ihre sein würde. Die Luft war erfüllt von Meeresduft. Möwen schrien, und die Wellen klatschten gegen das Hafenbecken.
    Je näher sie den Schiffen kamen, desto größer wurde das Gedränge. Julie beobachtete erstaunt, was andere Passagiere auf die Schiffe laden ließen. Große Möbelstücke, Unmengen an Kisten und sogar Pferdewiehern erklang aus engen Containern, die wankend über Kräne auf die Schiffe gehievt wurden.
    Karl beruhigte sie. »Hier geht man einfach in einen Laden und kauft, was man braucht. Bei uns muss man alles erst bestellen und liefern lassen. Und bis das dann ankommt ... Es ist ganz normal, dass Besucher aus Übersee sich in Europa mit Gebrauchsgegenständen und Luxuswaren eindecken.«
    In Anbetracht der enormen Gepäckmengen kamen Julie die Schiffe nun gar nicht mehr so groß und sicher vor. Unsicher klammerte sie sich im Getümmel an Karl. Der allerdings schien die Ängste und Zweifel seiner jungen Frau nicht zu bemerken. Er schüttelte ihre Hand ab und entschuldigte sich nur beiläufig, bevor er Julie mit Aiku neben ihrem Handgepäck warten ließ.
    Als Karl im Gedränge verschwunden war, wusste sie immer noch nicht, mit welchem Schiff sie letztendlich segeln würden. Zum ersten Mal war Julie froh, dass Aiku bei ihr war. Der große Schwarze wirkte wie ein schweigender Fels in der Brandung, und die anderen Menschen machten einen respektablen Bogen um ihn. Wahrscheinlich flößte er ihnen Angst ein. Julie fragte sich, ob er sich freute, nach Hause zurückzukehren, ob da eine Frau und eine Familie auf ihn warteten ...
    »Juliette!«
    Rief da etwa jemand

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