Im Land der Orangenbluten
konnte Julie nur schniefend die Schultern zucken. Wilma würde kein Verständnis für Julies Sorge um den Sklaven aufbringen, deshalb schwieg sie lieber.
»Ach, Kind, Männer sind manchmal sehr schwierig ... und vielleicht ist Ihr Karl ja ... besonders besorgt um Sie? Nach der Geschichte damals mit seiner ersten Frau ... und jetzt die Heirat mit Ihnen.«
Julie horchte auf. Bisher hatte Karl nie von seiner ersten Frau gesprochen. »Wilma, was war mit Karls erster Frau?«
Wilma betrachtete sie erstaunt. »Hat er Ihnen nichts davon erzählt?«
Julie schüttelte den Kopf. »Nur dass sie schon lange tot ist und ... er hat mir auch erst nach der Hochzeit von seiner Tochter erzählt.«
Wilmas Blick verfinsterte sich. »Na, das ist ja nicht gerade nett. Nun, ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn ich Ihnen das jetzt verrate, aber ich denke, Sie sollten es wissen. Es gab damals eine Menge Gerede in der Kolonie ... Felice, Karl Leevkens erste Frau, war die Tochter eines hohen Beamten, daher war sie recht bekannt in der Stadt. Alle waren damals verwundert, dass sie das Stadtleben gegen ein Leben auf der Plantage eintauschte.« Wilma lachte leise auf. »Wie das so ist mit jungen Menschen. Nun, einige Zeit ging das auch gut. Als die beiden ihre erste Tochter bekamen, gab Felices Vater ein großes Fest. Dann wurde Felice angeblich nochmals schwanger. Man sah sie nur noch selten in der Stadt und bei ihrer Familie.« Wilma dämpfte ihre Stimme, und ihre Augen verfinsterten sich. »Eine Bekannte erzählte mir damals, Felice habe sich sehr verändert. Sie war wohl schwermütig geworden ... das arme Ding.« Julie lauschte Wilmas Erzählungen aufmerksam. Sie wurde einmal mehr gewahr, dass sie von ihrem Ehemann so gut wie überhaupt nichts wusste. »Zu der Zeit, als das Kind geboren werden sollte, gab es ... nun ja, es ereignete sich etwas Schreckliches.« Wilma senkte nun ehrlich betroffen den Blick. »Man sagt, Felice sei wohl doch nicht mit der Einsamkeit auf der Plantage zurechtgekommen. Sie litt an geistiger Verwirrung. Ja, dieses Land hält manchmal schwere Prüfungen für uns bereit ...«
»Was ist mit ihr passiert, Wilma?« Julie hakte ungeduldig nach, obwohl sie sich gar nicht sicher war, ob sie überhaupt wissen wollte, was geschehen war.
Wilma wand sich. »Felice hat ihrem Leben im Fluss ein Ende gesetzt«, sagte sie schließlich. »Es war schrecklich! Man fand sie erst Tage später und ...«
»... was war mit dem Kind?« Julie fühlte sich wie betäubt. Welche Tragödie hatte sich da abgespielt?
»Von dem Baby fehlte jede Spur. Man weiß nicht, ob sie es zuvor auf die Welt gebracht hat und mit in den Tod nahm ... Keiner weiß, was sich wirklich in dieser Nacht auf Rozenburg abgespielt hat.« Wilma seufzte. »Felices Vater hat daraufhin Karl Leevken das Leben nicht gerade leicht gemacht. Er war der Meinung, ihn träfe eine Mitschuld am Tode von Felice. Seitdem hat Ihr Karl sich auch vollkommen aus der Gesellschaft zurückgezogen.«
Julie war geschockt. Wie schrecklich! Vielleicht aber lag darin eine Erklärung für Karls Verhalten, vielleicht hatte er diesen Verlust ja wirklich noch nicht überwunden. In den Niederlanden war der Druck von ihm abgefallen, aber jetzt, da er in seine Heimat kam, mochten die Erinnerungen ihn wieder quälen. Julie beschloss, mehr Geduld für Karl aufzubringen. Vielleicht erklärten sich seine schwankenden Stimmungen ja mit seiner Geschichte.
Julie drückte Wilma freundschaftlich. »Ich danke Ihnen, Wilma, dass Sie mir das erzählt haben. Vielleicht hilft es mir in der Tat, Karl etwas besser zu verstehen.«
Wilma tätschelte Julie aufmunternd den Arm. »Und morgen, Kindchen, kommen Sie wieder an Deck. Verkriechen Sie sich nicht allein hier unten, das ist nicht gut.« Mit diesen Worten verabschiedete sich Wilma.
Doch Julie wollte sich verkriechen, am liebsten für immer, hier unter dieser warmen Decke. Allen Erklärungen und guten Vorsätzen zum Trotz: Sie hatte Angst. Angst vor Karl. Noch nie war sie geschlagen worden.
Kapitel 15
Kiri verging vor Durst. Ihre Lippen waren spröde, und obendrein knurrte ihr Magen so laut, dass er fast das leise Plätschern des Wassers übertönte. Während das Boot über den dunklen Fluss befördert wurde, verstrich die Nacht, und schließlich brannte die Sonne auf die Plane. Aber die beiden Männer bemerkten sie nicht. Sie ruderten immer weiter den Fluss hinab, bogen das eine oder andere Mal in einen der Kanäle ab, die die Wasserwege im ganzen Land
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