Im Land der Orangenbluten
miteinander verbanden, und sprachen darüber, was sie in der Stadt mit ihrer neu gewonnenen Freiheit anfangen würden. Erst am späten Abend kamen sie ihrem Ziel näher. Kiri wunderte sich, dass die Männer ungerührt in befahrene Gewässer steuerten, aber anscheinend waren sie sich ihrer Sache sehr sicher. Und sie schienen in der Tat nicht weiter aufzufallen, sonst wären sie längst gestoppt worden. Irgendwann wurde das Boot langsamer und kam rumpelnd an einem Anleger zum Halten. Die Männer machten sich davon.
Kiri wartete noch eine Weile, aber als sie keinen Laut mehr vernahm, hob sie vorsichtig die Plane und sah sich um. Jenseits des Steges sah sie Häuser, viele Häuser. War sie etwa direkt in Paramaribo, der Hauptstadt, gelandet? Sie war noch nie dort gewesen, aber eine andere größere Stadt gab es eigentlich nicht. Steif vom langen Stillliegen kroch Kiri aus ihrem Versteck, spähte vorsichtig über den Anleger und die dahinterliegende Straße. Kein Mensch war zu sehen. So schnell sie ihre steifen Glieder trugen, eilte sie sich, im Dunkeln zwischen den Häusern Schutz zu finden. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf. Was sollte sie nun machen? War sie jetzt ein entlaufener Sklave? Sie wusste, was entlaufenen Sklaven drohte. Oder war sie frei, weil sie doch eigentlich gar nicht recht der Plantage gehört hatte? Schließlich war sie weder dort geboren noch angekauft. Sie wusste es nicht. Aber ihr Durst war inzwischen so stark, dass er alle anderen Probleme in den Schatten stellte. Kiri brauchte Wasser. Im Hinterhof eines der Häuser fand sie ein Fass, in dem Regenwasser vom Dach aufgefangen wurde. Gierig schöpfte sie das kostbare Nass mit ihren Händen an ihren Mund und trank. Dann huschte sie weiter. In einem Garten fand sie einen Mangobaum, der voller Früchte hing. Stehlen durfte man nicht, das wusste sie, aber sie hatte so großen Hunger, und der Baum war voller Mangos ... Vorsichtig und mit schlechtem Gewissen pflückte sie eine Frucht und schlich weiter.
Die Häuser hier waren ganz anders als das große Plantagenhaus des Masra auf Heegenhut. Sie standen dicht an dicht, mit schmalen Durchgängen zur Straßenseite für die Sklaven und mannshohen Toren für die Kutschen. Kiri kam es vor, als wären sie ringförmig angeordnet. Sie fühlte sich etwas bedrückt von der Enge. Die Hinterhöfe schienen den Sklaven als Wohn- und Arbeitsplatz zu dienen. Kleine Hütten drängten sich an die Zäune und Ställe, hier und da gab ein Hund ein leises Knurren von sich, als Kiri vorbeischlich. Hinter den Häusern war auch nicht alles so sauber und ordentlich, wie es die Vorderseite vermuten ließ.
Kiri begab sich lieber wieder auf die Straßenseite der Häuser. Im Schutz der hohen Bäume, welche die Straßen säumten, fühlte sie sich sicherer. Die Weißen würden schlafen, bei den Schwarzen konnte man es nicht genau wissen ... und bevor noch einer der Hunde anschlug ...
Als der Morgen graute, sah sie, dass sie sich wieder in der Nähe des Hafens befand. Zunächst versteckte sie sich hinter einem Stapel großer Kisten. Als immer mehr Menschen durch die Straßen strömten, überwiegend dunkelhäutig, fühlte Kiri sich etwas sicherer und traute sich aus ihrem Versteck hervor. Sie schlenderte neugierig umher und gab sich den unzähligen neuen Eindrücken hin. Die anderen Menschen beachteten sie gar nicht. Als sie in der Nähe einen Karren mit Früchten erblickte, spürte sie wieder ihren Magen knurren. Vorsichtig ging Kiri auf den Wagen zu, bemüht, einen unbehelligten Eindruck zu machen. Auf dem Boden lagen einige Orangen, manche waren bereits leicht zerquetscht. Was auf dem Boden lag, konnte man doch eigentlich nicht stehlen? Wenn sie jetzt eine der Orangen einfach aufhob ... Als sie sich unbeobachtet fühlte, nahm sie eine große Frucht auf und eilte flugs in eine Nebenstraße, wo sie mit einem weißen Soldaten zusammenstieß. Dieser schubste sie rüde nach vorne. »He, Mädchen, kannst du nicht aufpassen?«
Kiri erschrak fürchterlich und stolperte rückwärts, wobei die Orange aus ihren Tüchern fiel.
»Na, was haben wir denn da?« Der Soldat packte sie mit der einen Hand am Arm und hob mit der anderen die Frucht auf. Kiri versuchte, sich seinem Griff zu entziehen, doch er fasste noch fester zu. Er zog sie wieder hinaus auf die breite Straße, sah sich um und erblickte den Wagen mit Früchten. Inzwischen stand ein großer Mulatte daneben und schickte sich an, den Wagen fortzubewegen.
»He! Ist das vielleicht eine
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