Im Land der Orangenbluten
in Zukunft dann arbeiten können.«
Als das Boot mit Reinhard und zwei weiteren Brüdern an Bord schließlich am 6. Juni Paramaribo verließ, stand Erika am Ufer und winkte zum Abschied. Sie hatte ein seltsam leeres Gefühl im Herzen.
Kapitel 6
Julie war stocksauer. In den ersten Wochen in Surinam hatte sie sämtlichen Nachbarn Besuche abgestattet, um sie näher kennenzulernen. Stunden flussauf- und flussabwärts hatte Karl sie geschleppt. Trotz der Regenzeit, die inzwischen eingesetzt hatte, trotz Hitze und Moskitos und anhaltender Regenfälle, die den Aufenthalt im Boot nicht gerade angenehm machten.
Allein der Begriff »Nachbarn« war übertrieben formuliert. Außer der Plantage der Marwijks, die immerhin innerhalb gut einer Stunde zu erreichen war, befand sich keine weniger als mehrere Stunden entfernt – keine Strecke, innerhalb derer man mal schnell auf einen Kaffee vorbeischaute oder sich etwas Salz borgte. Karl schien mit seiner wiedergefundenen Rolle als Ehemann die Aufgabe zu verbinden, Julie vorzuzeigen wie ein neues Püppchen. Immer in der Erwartung, dass sie sich hübsch, nett und freundlich bei den Nachbarn einschmeichelte. »Zieh dir was Nettes an, steck dir die Haare schön auf ...« Julie kochte jedes Mal innerlich vor Wut. Auch der Begriff »kennenlernen« war weit gefasst. Unter Karls wachsamen Augen traute Julie sich nicht, eine eigene Meinung zu vertreten. Brav plauderte sie nach, was ihr Karl in den Mund legte.
Zudem neigte Karl, beschwingt durch diese Auftritte, dazu, nachts zu Julie zu kommen. Julie hasste die Besuche inzwischen. Sie ekelte sich vor ihm, wenn er sich betrunken auf ihr zu schaffen machte. Sie lag dann stets vollkommen still und hoffte, er würde schnell von ihr ablassen.
Die Nachbarschaftsbesuche hatten jedoch auch eine gute Seite: Julie konnte die Plantage verlassen und traf andere Menschen. Zu Hause fühlte sich Julie manchmal wie ein Möbelstück, dort schenkten ihr weder Karl noch Martina Aufmerksamkeit, von Pieter ganz zu schweigen. Doch sobald wieder eine Einladung zum Abendessen anstand, besann Karl sich auf sie. Seine junge, hübsche Frau, so gebildet und höflich.
Julie hatte mitbekommen, dass die Besuche bei den Nachbarn Karl zu einigen guten Landkäufen verholfen hatten. Die wirtschaftliche Lage der Plantagen war fast überall angespannt, die goldenen Zeiten der Kolonie waren vorbei. Viele Kolonisten gaben auf oder mussten hart um den Erhalt ihres Besitzes kämpfen. Vielen Nachbarn kam ein Besuch Karl Leevkens mit seiner jungen, hübschen Frau da gerade recht. Ganz beiläufig wurden Verträge unterzeichnet, und der Grundbesitz der Plantage Rozenburg verdoppelte sich binnen kürzester Zeit. Julie fragte sich insgeheim, ob sie hier nicht auch als Mittel zum Zweck missbraucht wurde. Wenn Karl Land kaufen wollte, hätte er doch einfach ein entsprechendes Angebot vorlegen können? Julie kam schnell dahinter, dass in der Kolonie nie, niemals mit Nachbarn über das eigene Vermögen gesprochen wurde. Lieber hätte sich einer der ehrenwerten Plantagenbesitzer oder -direktoren die Zunge abgebissen, als zu sagen: »Mir geht es schlecht, ich muss verkaufen.« Und so wurde also gemeinsam gegessen und geplaudert – und während die Damen Julie stolz durch die Gärten führten, verkauften die Männer Landstücke an Karl, die »für die eigene Plantage ungünstig lagen« und die »man dem Nachbarn ›gern‹ abtrat«. Selbstverständlich vollkommen uneigennützig. Es ging ja allen gut! Dass es vermutlich ihre Mitgift war, die Karl dies alles ermöglichte, daran mochte Julie lieber nicht denken.
Der vielen Besuche zum Trotz stapelte sich immer noch ein ansehnlicher Batzen Einladungen auf dem Schränkchen in der Eingangshalle. Julie konnte die Neugier dahinter verstehen, wahrscheinlich würde sie in ein paar Jahren, vielleicht sogar schon in ein paar Monaten, ebenso erpicht darauf sein, Gäste zu empfangen oder jemanden außerhalb der Plantage zu treffen.
Karls Eifer, die Einladungen anzunehmen, legte sich glücklicherweise nach ein paar Wochen, und er sagte zumeist ab. Er schien sein Ziel erreicht zu haben und des Landkaufs überdrüssig zu sein. Die Sklaven wurden ausgeschickt, die neuen Felder einzugliedern, und Karl gab sich wieder den kolonialen Genüsslichkeiten hin.
Dazu gehörte auch, sich jeden Dienstag von der Plantage zu verabschieden, um in Paramaribo geschäftliche Dinge zu erledigen. Er fuhr dann in die Stadt und kehrte erst am Donnerstag zurück. Julie
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