Im Land der Orangenbluten
wunderte dies: Hatte er nicht gesagt, er würde das Stadthaus nicht so oft nutzen? Allerdings machte er nie Anstalten, Julie zu fragen, ob sie ihn begleiten wolle. Nur Aiku fuhr mit Karl. Dabei wäre Julie so gern mal wieder in die Stadt gefahren! Wahrscheinlich hatten seine Reisen mit dem umfangreichen Landerwerb der vergangenen Wochen zu tun – und davon wollte Julie nichts mehr hören.
Aber auch Martina durfte ihn nicht begleiten. »Vater, bitte, ich habe Tante Valerie schon seit Wochen nicht gesehen!«
Karls Antwort war barsch: »Martina, du hast jetzt eine neue Stiefmutter, es ist besser, wenn du hierbleibst und ihr euch endlich aneinander gewöhnt.«
Dass er mit seiner Zwangszusammenführung genau das Gegenteil bei seiner Tochter bewirkte, bemerkte er nicht.
Erfreulicherweise aber trafen auch auf Rozenburg immer wieder Durchreisende zu kurzen Besuchen ein. Es gehörte zum guten Ton, flussauf- oder -abwärts Reisende freundlich aufzunehmen, wenn diese eine Pause einlegen wollten oder eine Weiterfahrt nicht möglich war. Dazu stand das kleine Gästehaus hinter dem Haupthaus schließlich zur Verfügung.
Karl war in den letzten Jahren offenbar kein besonders guter Gastgeber gewesen, aber ein paar Wochen nach Julies Ankunft und den ersten Treffen bei den Nachbarn legten auch wieder Reisende einen Zwischenstopp auf Rozenburg ein.
Karl gab dann immer nur ein unwirsches Grunzen von sich, fand in dem einen oder anderen Besucher aber doch einen kurzweiligen Trinkgenossen. Martina zog sich meist zurück. Mehr als einmal ärgerte sich Julie über das hochmütige Auftreten ihrer Stieftochter.
Julie hingegen genoss diesen Kontakt zur Außenwelt. So lernte sie viele interessante Leute kennen, unter ihnen einen jungen Botaniker, der ihr in zwei Tagen mehr über die Flora und die Fauna des Landes erzählte als Karl in den ganzen vergangenen Wochen. Und sie traf ein junges Judenpärchen, das auf der Reise zur Jodensavanne war, einer Siedlung, die zwar nach einem verheerenden Brand im Jahre 1832 nicht mehr bewohnt war, aber noch regelmäßig von Menschen besucht wurde, die dort die alten Grab- und Gedenkstätten pflegten.
War sie allein mit Karl, Pieter und Martina, legte sich ein bedrückender Schleier über das Haus, dem sie kaum entfliehen konnte.
Julie bemerkte, dass die Schwarzen im Umgang mit den Besuchern wesentlich unkomplizierter waren als die Weißen. Im Grunde war jeder gerne gesehen, und wenn die Rudersklaven der Besucher im Dorf eintrafen, wurden sie gleich freundlich aufgenommen und bewirtet. Nur wenn Pieters Sklaven kamen, wurde es auffallend still um die Hütten. Gott sei Dank geschah das momentan nicht ganz so häufig. Pieters Distrikt war relativ groß, und wenn er in die abgelegenen Bereiche fuhr, ließ er sich auch mal eine Woche nicht auf Rozenburg blicken. Für Martina war dies jedes Mal ein kleiner Weltuntergang. Kündigte er an, abfahren zu müssen, jammerte sie unablässig und klebte an seinem Rockschoß, dass Julie fast gelacht hätte. Insgeheim dünkte ihr, dass Pieter ganz froh war, sich eine Auszeit von seiner jungen Verlobten gönnen zu können. Julie selbst war jedes Mal heilfroh, wenn er aufbrach. Er hielt sich wesentlich häufiger auf der Plantage auf, als ihr lieb war. Sie versuchte, ihm dann aus dem Weg zu gehen. Sein Auftritt am Fluss an jenem Abend vor ein paar Wochen hatte Julie Angst eingejagt. Inzwischen war sie fest davon überzeugt, dass Pieter nur aus Kalkül handelte. Martina war eine gute Partie für ihn, nicht mehr und nicht weniger. Und Julie stand seinen Plänen nun vermutlich im Weg.
Insgeheim hoffte Julie sogar, dass Martina sich anders besinnen würde. Ihr graute davor, Pieter als Schwiegersohn annehmen zu müssen. Aber heiratsfähige Männer, noch dazu von gutem Stand, schienen in diesem Land ebenso selten wie Tage, an denen man fror. Wenn ... ja, wenn sie sich mit Martina besser verstehen würde, konnte sie sie vielleicht vor Pieter warnen.
Aber das lag ebenfalls in weiter Ferne.
Eines Nachmittags, Pieter war abgereist, und Karl wurde erst am Abend zurückerwartet, raffte Julie sich auf, einen neuen Versuch bei Martina zu unternehmen. Das Mädchen hatte jetzt lange genug Zeit gehabt, zu grollen und sich an Julies Anwesenheit zu gewöhnen, vielleicht würde es nun etwas gemäßigter reagieren. Julie fand ihre Stieftochter im Damensalon bei einer Handarbeit.
Obwohl Martina ihr aus ihren schmalen Augen einen düsteren Blick zuwarf, setzte sich Julie ihr gegenüber in
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