Im Land der Orangenbluten
Herbeischaffen eines Taschentuchs. Julie fragte sich, ob Martina sich jetzt absichtlich so verhielt, oder ob dies bereits vor ihrer Ankunft der Fall gewesen war. Aber nach und nach wurde Julie klar, dass das der Normalzustand war, denn Amru, die sich sonst resolut zeigte und als unangefochtenes Oberhaupt der Haussklaven galt, versuchte, der jungen Misi immer alles recht zu machen.
Als Julie sie darauf ansprach, zuckte Amru nur die Schultern.
»Das ist normal, Misi Juliette, in anderen Häusern ist das nicht anders. Jeder Weiße hat Leibsklaven, und ich bin die Leibsklavin von Misi Martina.«
Amru schien sich mit ihrer Rolle abgefunden zu haben, aber Julie spürte sehr deutlich, dass sie sich darin nicht wohl fühlte. Ab und an ließ Julie es darauf ankommen und nahm Amru für sich in Beschlag. Amru amüsierte dies dann sichtlich, und Martina wurde rot vor Zorn, wenn sie nicht sofort das bekam, was sie wünschte, oder gar ein anderes Hausmädchen zur Befriedigung ihrer Wünsche einspringen musste.
Julie war fest entschlossen, Amru diese Bürde abzunehmen. Martina war schließlich kein Kind mehr und konnte sich die Strümpfe ebenso gut selbst anziehen oder, wenn überhaupt, eines der Mädchen dazurufen. Auch wenn Amru Martinas Leibsklavin war, tat es wohl kaum Not, dass ausgerechnet sie jedes Mal alles stehen und liegen lassen musste, sie hatte auch so genug zu tun. Sie umsorgte die Küche und die Kostäcker des Hauses, den Obstgarten und die Hühner, nebenbei leitetet sie die Hausmädchen an, kümmerte sich um Masra Karl, wenn Aiku nicht zugegen war, und gab sich zudem sichtlich Mühe, aus Kiri eine angemessene Hilfe für Julie zu machen.
Julie war fest entschlossen, die Sache mit Karl zu besprechen, auch wenn sie ansonsten weitestgehend vermied, sich in Dinge einzumischen oder gar etwas zu fordern. Aber jetzt ... immerhin sollte sie ja die Rolle der Hausherrin auf Rozenburg übernehmen. Zumindest hob Karl das bei den Nachbarn immer hervor, da war es doch nur recht, dass sie allmählich damit anfing. Oder suchte sie etwa schon absichtlich Streit, um der Eintönigkeit zu entkommen?
Als Julie ihren Mann eines Abends in ansprechbarer Laune antraf und er zudem noch nicht betrunken schien, schnitt sie das Thema an: »Hör mal, Karl, wo doch Martina beizeiten heiraten und ja nun auch so langsam erwachsen wird ...« Er sah sie fragend an, schien aber noch nicht erbost darüber, dass sie ihn behelligte. »Ich denke, es ist Zeit, dass sie eines der jungen Mädchen als Leibsklavin erhält, Amru hat im Haus genug Aufgaben zu erledigen«, fuhr sie mutig fort.
Karl legte seine Zeitung beiseite und schien einen kurzen Moment nachzudenken. »Gut, wähle du ein Mädchen aus.« Damit schien das Thema für ihn erledigt.
Julie war verblüfft, dass er ihr überhaupt zugehört und äußerst zufrieden mit der Antwort, die sie erhalten hatte. Das Unwetter jedoch, das sie bei Martina damit heraufbeschwor, hatte Julie gründlich unterschätzt.
Kapitel 7
Kiri saß vor ihrer kleinen Hütte und nähte nachdenklich an einem ihrer Kleider. Welches Glück sie schließlich doch gehabt hatte! Zwar traute sie dem Masra nicht über dem Weg, Misi Martina war ihr nicht geheuer und Masra Pieter schon gar nicht ... aber Misi Juliette, sie war nicht so wie die anderen Weißen, die Kiri bisher kennengelernt hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie selbst noch nicht so lange im Land war? Und Amru, sie war auch nett – ein bisschen erinnerte die Frau sie an ihre Tante Grena. Kiri seufzte leise.
Ihre Gedanken wurden von einigen aufgeregten Stimmen ein paar Hütten weiter unterbrochen.
»Aber das kann sie doch nicht machen!« Es war die junge Liv, die sich lauthals bei ihrer Mutter beklagte. »Mutter, rede du doch noch mal mit Amru!«
Kiri stand auf und ging neugierig näher heran, so wie einige andere Frauen und Mädchen auch. Auf Kiris fragenden Blick flüsterte eine der Frauen ihr zu: »Liv soll Misi Martinas neue Leibsklavin werden.«
Kiri hatte schon von Misi Juliette gehört, dass Amru entlastet werden sollte. Kiri fand das eine gute Idee, wobei sie sich aber auch vorstellen konnte, dass es die neue Leibsklavin mit Misi Martina nicht leicht haben würde.
Liv schluchzte derweil im Arm ihrer Mutter. »Aber ich kann das doch gar nicht. Warum gerade ich?« jammerte sie. Als sie Kiri zwischen den anderen Frauen erblickte, funkelte Liv sie böse an. »Deine Misi ist schuld, sie bringt alles durcheinander. Wenn ihr nicht gekommen wärt, wäre
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