Im Land der Orangenbluten
einen Sessel und nahm sich ebenfalls ihre Stickarbeit auf den Schoß. Einen Moment herrschte gespanntes Schweigen. Bis Julie beschloss, es zu brechen.
»Ein sehr schönes Tischtuch fertigst du da, Martina.« Julie deutete auf die filigrane Arbeit in Martinas Händen.
Martina schwieg und starrte verbissen auf den Stoff.
»Martina? Denkst du nicht, es ist an der Zeit, dass wir uns mal unterhalten?«
»Ich wüsste nicht, worüber«, gab Martina leise von sich, ohne den Blick zu heben.
Das war zwar nicht gerade die Antwort, die Julie erhofft hatte, aber immerhin ein Anfang. »Nun«, fuhr Julie ruhig fort, »ich lebe jetzt nun mal auch hier, meinst du nicht, dass wir miteinander auskämen, wenn wir uns besser kennenlernen würden?«
Schnaubend legte Martina ihre Handarbeit zur Seite. Sie stand auf und blickte Julie feindselig an. Ihre kindlichen, großen Augen verzogen sich dabei zu schmalen Schlitzen, und sie presste ihre Lippen zu einem Strich zusammen. Dann fuhr sie Julie an: »Ich wüsste nicht, wieso wir das sollten. Ich weiß auch nicht, warum Vater dich überhaupt mitgebracht hat! Er braucht keine Frau, schon gar keinen Erben, und ich brauche weiß Gott keine Stiefmutter. Es war gut, so wie es war. Und glaube nicht, dass ich oder sonst irgendjemand hier sich von dir irgendetwas sagen lässt! Vielleicht kannst du den Vogel blenden, mich aber nicht!« Mit diesen Worten stob sie durch die Tür und stieß dabei fast mit Amru zusammen, die gerade Getränke hereinbrachte.
Amru sah Martina betroffen hinterher. Dann wandte sie sich an die Julie. »Misi Juliette muss Misi Martina Zeit geben. Misi Martina war lange allein mit ihrem Vater.«
Julie war verwirrt. »Ach, Amru, was soll ich denn machen?« Sie sah die Haussklavin hilfesuchend an. »Ich wollte doch auch nicht, dass es so kommt. Ich dachte ... vielleicht ... und was hat jetzt der Vogel mit der Sache zu tun?« Mutlos sackte sie in sich zusammen.
Amru stellte das Tablett ab und reichte Julie ein Glas. »Misi Martina ist ohne Mutter hier aufgewachsen«, sagte sie langsam. »Nur ich und die anderen Sklavenfrauen, wir kümmerten uns um sie. Und ab und zu durfte sie in die Stadt zu ihrer Tante. Misi Martina weiß gar nicht, wie es ist mit einer weißen Frau im Haus. Masra Karl hat ein paarmal versucht, Fräuleins hier anzustellen, aber alle gingen nach ein paar Wochen wieder.« Und leise fügte sie hinzu: »Und Misi Martina vermisst wohl ihre Mutter.«
Julie dachte angestrengt nach. Martina war noch ein Kleinkind gewesen, als ihre Mutter starb. Und nichts, das wusste Julie, war schmerzlicher für ein Kind, als eine geliebte Person zu verlieren.
Sie überkam ja selbst heute noch manchmal unvermittelt eine unendlich tiefe Trauer über den Verlust ihrer Eltern. Wie konnte sie Martina dafür einen Vorwurf machen?
»Du hast wohl recht, Amru, ich sollte ihr Zeit geben«, sagte sie schließlich.
Martina reagierte weiterhin gereizt und feindselig auf Julie. Sie ignorierte ihre Stiefmutter oder versuchte, ihren Vater mit kleinen Sticheleien gegen Julie aufzubringen. Was ihr, zu Julies Leidwesen, auch manchmal gelang.
»Vater, Juliette hat schon wieder vergessen, Kiri das Silber putzen zu lassen. Vater, Juliette hat schon wieder Amru gerufen, obwohl sie gerade bei mir ...«
Julie ärgerte sich darüber, verkniff sich aber entsprechende Bemerkungen, da sie keinen weiteren Unfrieden stiften wollte. Natürlich hatte Kiri, als ihre Leibsklavin, auch diverse Aufgaben im Haus zu erfüllen. Julie erschien stetiges Silberputzen aber ebenso unnütz wie ähnlich stupide Tätigkeiten, daher mochte sie auch ihre Sklavin damit nicht betrauen. Zumal es neben Kiri und Amru noch fünf andere Mädchen gab, die bei Bedarf dem Haushalt beistanden. Und Aiku natürlich. Acht schwarze Bedienstete für drei weiße Personen. Julie betrachtete dies als pure Verschwendung.
Auch über Martinas Gebaren gegenüber Amru konnte Julie nur den Kopf schütteln. Amru musste Tag und Nacht für Martina abrufbar sein. In der Nacht stand dafür wiederum ein Mädchen parat, welches auf der hinteren Veranda schlafen und im Bedarfsfall, wenn Misi Martina es rief, loslaufen und Amru aus ihrer Hütte holen musste. Selbst wenn es nur darum ging, dass Martina ein frisches Nachtgewand anziehen wollte, weil das andere verschwitzt war. Tagsüber musste Amru Martina bei der Körperpflege, beim Ankleiden und auch sonst bei jeder erdenklichen Tätigkeit zur Hand gehen, sei es das Bespannen eines Stickrahmens oder das
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